Freitag, 16. August 2013

Wenn wir uns mitten im Leben meinen...

Wir sind eben aus den Ferien zurück gekehrt. Wir sind alle wieder da, heil und gesund und mit viel Erlebtem. Diese VW-Bus-Abenteuer-Ferien waren ganz anders als jene vergangenen Sommers. Wir waren in der Bretagne und in Cornwall. Und wie das Wetter in Cornwall täglich mehrmals von einer Minute auf die andere wechselte, von wärmendem Sonnenschein zu schweren, düsteren Regenwolken, so erging es uns mehrmals auch emotional. Mit bleibenden Spuren. Ich bin verunsichert. Das satte, lachende Leben hat wieder Risse und Brüche bekommen. 

Noch sehe ich das Gesicht des Motorfahrradfahrers vor meinem inneren Auge, der auf der Küstenstrasse neben seinem brennender Motorrad lag. Blut floss aus seinem Helm. Die Augen zu, die Gesichtsfarbe aschfahl. Leblos. Die Gesichter der herumirrenden Menschen, die mit groß aufgeschreckten Augen uns Heranfahrenden anschauten, mit den Armen herum fuchtelten und versuchten, den Verkehr zu regeln. 
Noch spüre ich den Schreck in den Knochen, noch höre ich meinen Schrei, als Thalia durch eine offene Luke im Boden der alten Fischerhütte direkt in den Keller hinunter stürzte. Haltlos. Aufprallte und gottlob gleich weinte... Meine Knien zittern heute noch, wenn ich daran denke, wie es auch noch hätte enden können... 
Und dann, ein Tag später, das SMS meiner Mutter, etwas Schreckliches sei passiert... Der Heimweg war für mein Herz schwer, denn er führte mich zur Beerdigung meines Onkels und Cousins, die vergangene Woche von ihrer Bergtour nicht mehr nach Hause gekommen sind. 300 Meter haltlos. Ich schliesse die Augen.

Tiefschürfende Bilder geprägt von Hilflosigkeit.

"Der Tod ist groß. Und wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen, mitten in uns." Rilkes Worte begleiten ihre Todesanzeige und können für mich treffender nicht sein. Wie habe ich das in diesen Ferien wieder zu spüren bekommen! Der Tod ist immer da, nur ein Millimeter neben uns. Es ist immer jederzeit möglich, das wir gehen müssen. Alle. Egal welchen Alters. Es gibt keine Reihenfolge.

Wir wissen es alle, und doch vergessen wir es jeden Tag von Neuem. Aber im Moment stehe ich da und meine Seele bebt. Ich schaue meine Liebsten an und in mir krampft es. Wie lange noch? Wie lange darf ich mein Glück genießen, meine Liebsten nahe bei mir wissen? In unseren Ferien mit dem VW Bus waren wir ganz nahe beieinander, schliefen gemeinsam auf wenigen Quadratmetern und kamen uns sehr nahe. Das war schmerzhaft schön. Wir saßen abends in unserem Bus, draußen wehte ein kühler Wind, Christian stimmte die Gitarre und wir sangen unsere Münder warm. Ich saß da und in mir bebte es, es schrie in jeder Faser meines Körpers, die Angst floss durch jede meiner Venen, aber ich hielt dicht. Lächelnd sang ich mit...

Ich benötige Zeit, um wieder in meine Mitte zu kommen, um wieder einen Halt zu finden in mir drin. Kraft und Zeit, um die permanente Präsenz des Tods wieder ignorieren zu lernen, um wieder mehr Vertrauen ins Leben aufzubauen. 

Bald kommt der Schulalltag und das wird mir helfen. Und wenn ich genug Abstand finde, werde ich auch von den schönen Erlebnissen unserer Ferien berichten; deren vieler waren.

Glücklich und traurig,
traurig und glücklich,
Eure Iren

21 Kommentare:

  1. Viel Kraft und Stärke, liebe Iren!
    Wir müssen immer wieder mit dem Tod leben, aber es ist besonders schwierig, wenn er sehr unerwartet oder zu denen kommt, die viel zu jung sind...

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    1. Diese Kraft und Stärke gebe ich gerne auch meiner Tante und Cousine weiter... wie so sehr mehr sie das brauchen!!
      Danke,
      iren

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  2. Liebe Ire,
    irgendwann musst du nicht mehr ignorieren, du wirst, wir werden lernen, diese Präsenz der Endlichkeit als Teil unseres Lebens zu akzeptieren – und zu lieben! Denn es liegt in ihr eine Kraft, die unbeschreiblich ist, wenn wir sie ohne Angst zu integrieren wagen. Doch dieser Weg führt durch den Schmerz, immer und immer wieder. Ich kann sooo gut nachfühlen, was in dir vorgeht, dieser Kloss, der fast nicht atmen lässt, diese heftigen Bilder und Nachrichten, denen unser Verstand und unser Fühlen nicht schnell genug folgen können. Das ist sowas von menschlich und normal und ich wünsche dir aus ganzem Herzen, dass du durch die Hingabe in diesen Tagen zur Ruhe kommen kannst.
    Sei herzlich umarmt! Gabriela

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    1. Liebe Gabriela
      Ich musste deinen Kommentar immer wieder lesen und aufsaugen. Du hast so recht. Und genau da stehe ich jetzt: ich muss hinschauen und durch diesen Schmerz gehen. Es löste unter anderem auch viel in mir aus, das viel älter ist und nur mit mir zu tun hat. Ich will es annehmen - oder mich hingeben, wie du es schön formuliert hast. Danke!
      Auch Du sei herzlich umarmt,
      Iren (die schon mehrmals geträumt hat, euch besucht zu haben...)

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  3. Liebe Iren, der Tod macht sprachlos und erschüttert uns bis ins Innerste, das spürt man gerade auch beim Lesen deines Posts sehr gut. Ich wünsche dir Kraft und Trost und Momente des Innehaltens. In Gedanken bei euch, anja

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  4. In Gedanken bei Dir und Deinen Lieben.
    Herzlichst
    Oona

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  5. Mitten im HZamsterrad hat mich dieser Blogeintrag innehalten und still werden lassen.
    Liebe Iren! Der Tod der oft erst das Bewusstsein gibt , für das was uns wirklich wichtig ist. Die Chinesen so las ich einmalbei Terzani legten sich früher vor wichtigen Entscheidungen in ihren Sarg, der bereit stand. Der Tod mitten im Leben als Bewusstseinschaffender, das nur der Moment uns sicher ist.
    Ich wünsche dir ganz viel Kraft und beginne so glaube ich die 2. Hälfte des Tages, die mir bisher mehr Last als lust erschien(Kindergeburtstag mit 10 Kindern) bewusster und aufmerksamer. Danke für diese besonderen Zeilen. LG xeniana

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    1. Liebe Xeniana
      Das ist aber spannend, was du über die Chinesen schreibst! Sich in den Sarg zu legen und das Leben von dieser Sichtweise zu beurteilen... Wow! Das sollten wir alle immer wieder tun. Zumindest mental könnte man das machen -
      Ich hoffe, du hattest einen freudvollen Nachmittag mit den Kindern und lasse dich herzlich grüssen
      Iren

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  6. Liebe Iren,
    auch ich wünsche Dir die Kraft, die Du nun in den kommenden Wochen brauchst - um andere zu trösten, aufzurichten und Dich selbst wieder ins Lot zu bringen.
    In Gedanken bei Euch
    Birgit

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    1. Ich danke Dir - der Alltag saugt mich gerade voll auf, doch ich bekomme nun körperliche Symptome wie Magenschleimhautentzündung, Nieren-/Rückenschmerzen etc. In mir schafft es noch tüchtig und ich möchte dafür Raum finden, was im Moment nicht genügend vorhanden ist. Aber ich schaffe mir immer wieder kleine Auszeiten und diese Woche läuft schon viel besser als die letzte.
      Liebe Grüsse
      Iren

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  7. Ich weiss es ....
    Ich habe es gespürt, es wird anders, wird nie mehr vergehen ...
    Du wirst nicht mehr nur Angst haben, sondern lernen, dass es jede Sekunde mit einem jeden von uns vorbei sein kann. Vorbei hier auf dieser Welt. Ich bin mir so sicher, dass sie nicht einfach "weg" sind, alle die, welche wir im Herzen haben und so vermissen.
    Ich geniesse tausende von Augenblicken mit all meinen mir so lieben, kann lächeln und weiss .... dass es plötzlich vorbei sein kann. Ich kann Dir nicht beschreiben woher irgendwann diese Ruhe ohne Angst vor dem was kommen wird bei mir im Herzen "gelandet" ist. Ich wünsche Dir viel Kraft, keine Angst, ein Erkennen das es der Lauf unseres Lebens ist.
    Rilkes Worte mag ich sehr.
    allerliebste Grüsse, es tut mir so leid ....
    Elisabeth

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    1. Liebe Elisabeth
      auch dir vielen Dank für deine Worte. Es tat mir gut, sie zu lesen. Es ist komisch, denn ich hatte bisher das Gefühl, dass ich mir dieser Endlichkeit gut bewusst bin und deshalb das Hier und Jetzt sehr gut geniessen konnte. (Wobei ich schon immer diese Wermutstropfen dabei hatte.) Ich bin auch überzeugt, dass nur der Körper stirbt und wir in unserer Essenz unsterblich sind. Doch im Moment laufen Dinge bei mir ab, die irrational sind. Ich kann sie gedanklich nicht kontrollieren. Es ist wie etwas Neues in mir Aufgebrochen. Eine grosse Angst vor der Hilflosigkeit, wenn man zuschauen muss, wie jemand zu "Tode stürzt". Thalia z.B. habe ich nicht auffangen können, obwohl ich daneben stand. (Gottseidank ist nichts passiert!!) Dem Töfffahrer hätte ich auch nicht helfen können. Und ich stelle mir vor, wie entweder mein Onkel, oder mein Cousin, zuerst ausgerutscht ist, abgleitete und der andere, noch am Seil verbunden, versucht hat, ihn aufzufangen und es nicht verhindern konnte, wie sie beide dann haltlos den Gletscherhang hinunter sausten und in die Felskuhle stürzten... Ich glaube, es ist vor allem dieser verzweifelte Moment der Hilflosigkeit, der mich so schaudern lässt...
      Aber auch das muss man annehmen können. Vor dem Tod sind wir alle machtlos, er hat eine Kraft, der wir nichts entgegen halten können.
      Ich wünsche mir diese Ruhe ohne Angst und hoffe, dass sie eines Tages auch in mein Herz den Weg findet...
      Liebste Grüsse
      Iren

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  8. Liebe Iren,
    mein herzliches Beileid! Ich habs in der Zeitung gelesen, aber war nicht sicher, ob sie mit Dir verwandt waren. Es ist einfach nur schrecklich und ich wünsche Dir und der ganzen Familie, vor allem Deiner Tante, viel Kraft und neuen Mut, irgendwann...
    Und ich wünsche Dir, dass Du all die schönen Momente mit Deiner Familie und Deinen Freunden geniessen kannst und nicht nur noch an den Tod denken musst.
    Alles Liebe
    Susi

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    1. Danke Susi! Meine Tante und meine Cousine brauchen noch viel, viel, viel, viel, viel mehr Kraft... Es schmerzt mich soo für sie...

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  9. Ach, wie traurig, Iren. Mein herzliches Beileid. Und viel Kraft. Marianne

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  10. So bekommen Zeitungsberichte eine ganz andere Bedeutung. Verrückt, wenn Blogs, Wirklichkeit und Alltag sich so vermischen. Mein herzliches Beileid dir und deiner Familie.
    Liebe Grüsse
    Barbara

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    1. Gell, wenn diese anonymen Zeitungsberichte plötzlich "ein Gesicht" bekommen... Habe ich auch schon erlebt. Lese über einen tödlichen Autounfall in der Zeitung oder über das Lawinenunglücks eines Rettungsarztes und erfahre wenige Tage später, wer es war. Ein Kollege.

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  11. Liebe Iren,

    ich bin vor ein paar Tagen über deinen Blog gestolpert und bin ganz bewegt. Über deine Worte, die Bilder, deine wunderschönen Töchter, deine Ehrlichkeit, deine Liebe, deine Art zu schreiben. Ein Geschenk! Und jetzt dieser Post. Aus dem Sommer. Er hat eine Trauer in mir berührt, die so tief ist, dass ich selbst nicht kenne. Weil sie so schmerzt, dass ich es nicht geschafft habe, sie in mein Leben zu lassen. Mein eigener Vater ist vor zwei Jahren aus dem Leben gegangen. Unfassbar für uns. Und ich habe denselben Satz von Rilke für seine Todesanzeige ausgewählt. Und gelernt, weiter zu leben.... Wie auch immer. Es kann uns immer treffen. Immer und jeden Tag. Jeden von uns. Hast du wieder Vertrauen gefunden ins Leben? Mir hat vor allem der Satz einer Freundin geholfen. "Weißt du, Amelie. Gott alleine gibt das Leben. Und Gott alleine nimmt das Leben. Wenn er nicht gewollt hätte, dass dein Vater stirbt, so hätte er es verhindert." Das hat die Schuld von mir genommen. Die Frage des Warum? Das hat mir die Angst um meine eigenen Kinder genommen. Danke dir für deine Worte.
    Amelie

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  12. Aber vor allem wünsche ich Deiner Tante Kraft. Ganz viel Kraft. Mit diesem Schmerz zu leben. Diesem Verlust. Alles Liebe,
    Amelie

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