Es wird bestimmt nur Regnen. Zwei Wochen lang. Und das sollen unsere Sommerferien werden?! - Christian war kritisch, als ich vorschlug, im Juli nach Polen zu reisen. - Aber es ist eine Gelegenheit, endlich mal die Heimat deiner Mutter kennenzulernen. Du warst selbst noch nie dort und ich finde es wichtig, für dich und die Kinder, endlich zu sehen, woher deine Mutter stammt.
Wir machen diese Reise jetzt, es wird bestimmt nicht so schlimm wie du befürchtest. -
Ich plante eine polnische Rundreise. Über Berlin, wo wir Freunde besuchten, ging es Richtung Stettin in den krummen Wald und weiter nach Rybokarty. Ein idyllisch gelegenes altes Landgut, ursprünglich Besitz einer adeligen Familie, das heute persönlich geführtes kleines Hotel ist. Wir wurden herzlichst empfangen, begegneten netten und interessanten Menschen und haben die gepriesene polnische Gastfreundschaft und Offenheit bereits am ersten Abend bestätigt bekommen.
Die Wanderdünen bei Leba waren das nächste Ziel. Da wir nie gehetzt reisen und gerne den Tag gemütlich beginnen, war es Nachmittag, als wir an der Ostsee ankamen. Unzählige Touristen, viele billige Fressbuden und Souvenirshops nahmen uns die Lust, aus dem Auto zu steigen. Wir fuhren langsam durch die belebten Strassen, schauten durchs Autofenster die vielen Männer, Frauen und Kinder an, die sich alle irgendwie glichen und waren etwas ratlos. Um die Wanderdünen zu sehen, musste man noch 5km wandern oder ein spezielles Züglein nehmen. Auf beide Möglichkeiten hatten wir keine Lust. Wir hatten Hunger und fanden einen Fensterplatz im Restaurant eines Hotels direkt am Meer. Wir assen lokale Köstlichkeiten und schauten aufs Wasser.
Gemütlich im Sessel versunken schauten wir die Wanderdünen nochmals im Reiseführer an, das reichte uns. Wir mussten an diesem Tag weiter bis nach Gdansk (Danzig), wo die nächste Unterkunft gebucht war. Ein kleiner Sprung ins Meer für Calista und Christian lag noch drin, ein Polaroid zum Andenken an die Ostseeküste, dann stiegen wir wieder ins Auto, um fürs Abendessen am Tagesziel zu sein.
Gdansk ist wunderschön. Das finden viele Menschen. Für diese Stadt muss man morgens früh aufstehen, um die Strassen, Plätze und Promenaden für sich zu haben, denn es hat unzählige Besucher. Ich liebe es, wenn eine Stadt diesen Kontrast zwischen alt und modern hat. In Gdansk sieht man das überall, wie sich die Zeiten die Hand reichen und gleichwertig nebeneinander bestehen.
Die Masuren war das Hauptziel unserer Reise. Christians Mutter stammt aus Drengfurth, heute heisst der Ort Srokowo. Als Ostpreussin musste sie als 14jähriges Mädchen Hals über Kopf vor der roten Armee fliehen. Sie war in einer Schule in Königsberg und die Lehrerin nahm eines Tages im Januar 1945 alle Mädchen mit an den Bahnhof und stieg mit ihnen in einer der letzten Züge, die noch die Stadt verliessen. Christians Mutter hatte keine Zeit mehr zu ihrer Familie zu gehen, sie floh mit der Schulklasse. Unterwegs verlor sie ihre Mitschülerinnen und musste sich alleine mit einer Freundin durchschlagen, bis sie in Westdeutschland bei einem Bauern aufgenommen wurde und die nächsten vier Jahre dort lebte und arbeitete. Sie ist zeitlebens nie mehr in ihre Heimat zurück gekehrt. Alle Familienmitglieder sind geflohen, der Teil von Ostpreussen gehörte nun Polen und war jahrelang kommunistisch besetzt. Die Mutter starb, ohne sich von ihrer Heimat verabschiedet zu haben. Es war an der Zeit, dass Nachkommen zurück kehrten und uns die Landschaft und Ortschaft anschauten. Und die Geschichte irgendwie versöhnten, indem wir wieder eine Verbindung zu ihrer Herkunft schufen.
Wir nahmen eine wunderschöne Unterkunft an einem der grossen Seen, direkt am Wasser. "Land der tausend Seen" nennt man die Masuren. Natur wohin das Auge reicht: Wasser, Wiesen, Wälder, Himmel und Licht. Ich konnte mich völlig entspannen.
Wir reisten nach drei Tagen weiter nach Warschau. Und verliebten uns. Warschau? Weltstädtisch, grosszügig, charmant, herunter gekommen, alt, modern, schön, offen, kulturell interessant, viel zu sehen, feines Essen, nette Menschen... In Warschau trifft man wieder auf viele Gegensätze, was ich so liebe. Und viele Spuren der Geschichte. Es lebt und vibriert in dieser Stadt. Man fühlt sich stimuliert und sicher. Die Menschen sind zuvorkommend und ehrlich. Wie überall in Polen. Ich muss eines Tages zurück.
Auf dem Weg nach Krakau machten wir einen Zwischenstopp im Königlichen Salzbergwerk von Wieliczka. Eine zweieinhalbstündige Tour über hundert Meter in die Tiefe liess uns staunen und erschaudern. Seit dem Mittelalter betrieben, riesig im Ausmass, eindrücklich durch die erschaffenen Hallen, Räume und Skulpturen, bewundernswert durch Erlittenes und Geleistetes, berühmt und auf der Liste der UNESCO- Weltkulturerbe. Ein Salzsäcklein ist seither in meinem Küchenschrank, beim Kochen spezieller Gerichten greife ich mit meiner Hand hinein.
Krakau - erwartungsvoll und neugierig trafen wir ein, reisten aber am nächsten Tag wieder ab. Der Zuckerbäckerstil kannten wir inzwischen, die vielen jungen Touristen waren vor allem am günstigen Bier interessiert und das färbte auf die ganze Stimmung ab. Es hätte sicher viel Interessantes zu sehen gegeben, die geschichtlichen Zeugnisse sind in Krakau dicht vorhanden. Doch wir waren müde. Wir haben bereits so viele Eindrücke und Erlebnisse von unserer ganzen Reise mitgenommen, wir konnten uns der Stadt nicht mehr öffnen.
Wir bereisten Polen mit unserem Auto. Ich legte die Route im Voraus fest und buchte mit Airbnb schöne Unterkünfte, in den Städten immer im Zentrum. Wir wurden nie betrogen, bestohlen oder sonst schlecht behandelt. Unser Auto fuhr zuverlässig und die Mädchen vergnügten sich auf den langen Fahrten mit Netflix. Eine Nacht verbrachten wir noch in Linz um die Rückreise in zwei Etappen zu gestalten.
Wir spürten in Polen keinen Regentropfen auf unserer Haut. Es war warm und sonnig, manchmal leicht bewölkt, was umso schöner war.
Herzliches von Iren, die diese Zeilen begleitet vom Klang vieler Tropfen schrieb, die aufs Dachfenster trommeln.