Puhh! - Lezten Donnerstag kriegte ich den Schock meines Lebens.
Es war früher Nachmittag, gerade habe ich meine Eltern verabschiedet, die kurz zu Besuch kamen. Ich hatte Calista auf dem Arm und lief mit ihr wieder die Treppe hoch.
Da hatte Calista einen kleinen Aufstosser und wollte ihn wieder runter schlucken. Sie klopfte dabei mit der rechten Hand so süss auf den geschossenen Mund und schaute mich an. Ich sagte: Oh! Ist Dir was hoch gekommen? Ups, schluckst es wieder runter. Doch ihr klopfen auf den Mund wurde etwas vehementer und ihr Blick angstvoller. Ich merkte, dass sie sich ernsthaft verschluckt hat und nicht mehr richtig atmen kann. Mich befiel panische Angst und rief Calista zu, WAS IST!! Sie schaut mich an, mit starrem Blick, und plötzlich wurde sie ganz weiss, ihr Blick schielte und sie wurde schwach, ihr Kopf kippte leicht zur Seite, als ob sie gerade eben in Ohnmacht fiel. Ich hatte einen immensen Panikschub und wusste nicht mehr, wie mir geschah. Ich schrie mehrmals laut ihren Namen als ob ich sie wecken müsste: C A L I S T A!!! Ich drehte ich sie kopfvorüber, klopfte ihr heftig auf den Rücken und rannte hinaus, zu meiner Nachbarin, meine Freundin. Ich rannte um Calistas Leben. Es sowieso zu spät! hämmerte es in meinem Kopf, auch wenn wir jetzt gleich den Notarzt rufen. Wir müssen diese Situation nun alleine schaffen! Ich wollte schreien, den Namen von Sophia laut rufen, ich wollte brüllen: Sophia, komm schnell! Calista atmet nicht mehr, ich brauche Hilfe!! Aber ich hatte die Sprache verloren. Ich wusste nicht mehr, dass Sophia Sophia heisst, ich konnte kein Wort, keine richtige Silbe mehr sagen. Ich stammelte nur noch irgendwelche Laute. Ihre Terrassentüre stand offen und ich stürzte hinein. Sophia kam angerannt. Ich zeigte ihr Calista. Wir schauten sie voller Schrecken an und sie guckt uns an, mit zusammen gepresstem Mund. Nach zwei Sekunden und einer gefühlten Ewigkeit, kam ein gepresstes Lächeln von ihr, ihr Gesicht war immer noch bleich. Atmet sie, Sophia? War meine erste Frage. Ja - sie atmet. Sie atmet wieder.
Da entspannte ich mich, so, dass es mich schüttelte und die Tränen kamen. Ich war erschöpft. So eine gewaltige Ur-Panik, die in mir ausgebrochen ist, habe ich noch nie erlebt. Dieses Gefühl, dein Kind stirbt sogleich in deinen Armen...Ich fühlte mich leer und kraftlos. Nach der ersten Beruhigung ging ich wieder nach Hause, legte mich mit Calista aufs Bett und genoss schmerzhaft, doch noch ein lebendiges Kindchen zu haben. Es war ein Wechselbad von schrecklich und schön zugleich, was mich fertig machte.
Am Abend im Bett kamen mir dauernd die Tränen. Ich konnte diese Erfahrung nicht wegstecken und spürte, wie tiefgreifend ich verunsichert war. Kann das wieder passieren? Was mache ich dann? Dieses Auf-Leben-und-Tod-ausgeliefert-sein... Da zu stehen mit einem Notfall und den Kopf komplett zu verlieren. Nicht mehr zu wissen, was zu tun ist - keine Worte mehr zu erinnern, um Hilfe schreien zu können.
Am nächsten Tag rief ich meinen Kinderarzt an und bat um einen Termin. Jemand hatte eben abgesagt und ich konnte am Nachmittag vorbei. Ich hatte Glück!
Er hörte sich den Vorfall an. Als ich meinte, er dürfe mir einreden, ich habe mir den Zustand von Calista nur eingebildet, weil ich innert Sekunden von einer immensen Panik überrollt war die meinen Verstand ausgeschaltete, da meinte er, dass sei bestimmt nicht der Fall. Bestimmt sei alles so passiert. Er erklärte mir, dass es zwei Situationen gäbe, in denen das Kind durch Verschlucken einen kurzen Atemstillstand erleben könne, oder noch einen anderen Fall, wo es zu einem kurzen Blutdruckabfall kommen könne. Beides sehe dann so aus, wie ich es geschildert habe. Er untersuchte darauf Calista, um sicher zu gehen, dass nichts in der Lunge stecken geblieben ist. Als alles gut war, setzten wir uns hin und er ging mit mir Schritt für Schritt durch, was ich machen könne, falls so etwas wieder vorkommen würde.
Mit Stift und Papier sass ich da und schrieb mein Notfallblatt auf. Dieses nachträgliche Rationalisieren der erlebten Situation tat mir gut. Nochmals mit ruhigem Herzen und klarem Kopf die Situation durch zu gehen und Schritt für Schritt aufzuschreiben, was ich tun könnte, um Calista richtig zu helfen. Um allenfalls ihr Leben zu retten.
Ich möchte es hier aufschreiben, denn es ist sehr wichtig, sich so einer Situation zu stellen, bevor man sie erlebt, am eigenen Kind. Klar habe ich den Nothelfer besucht und auch sonst, als ich noch bei den Pfadfindern war, lernte ich immer wieder, wie man erste Hilfe leistet. Doch beim eigenen Kind? Chancenlos! Ich habe es immer verdrängt, einen Erstehilfekurs für Kleinkinder zu besuchen. Diesem Thema wollte ich keine Beachtung schenken, aus Angst.
Vom Kinderarzt habe ich mir folgende Notizen gemacht.
> Zeit nehmen, um genau hinzuschauen und möglichst gut zu verstehen, wo das Problem liegt. Man hat diese Zeit und man muss sie sich nehmen, damit man mit richtigen Entscheidungen Zeit gewinnt.
> Bei Verschluckungsverdacht das Kind vor sich nehmen, von hinten die Hand auf den Bauch legen und kurz und klar einen Impuls ins Zwerchfell geben. So sollte das Verschluckte raus kommen können. (Eventuell wiederholen.)
> Wenn das nicht hilft und das Kind immer noch Atemstillstand hat, es auf den Boden legen und beatmen. Dabei den Kopf leicht nach hinten neigen und schauen, dass die Zunge nicht zurück gefallen ist. (Sonst hinten, bei den Ohrläppchen, beidseitig an den Kiefer fassen und gut nach vorne schieben). Den Mund vorne schliessen und über die Nase zweimal beatmen. Danach schauen, ob die Atmung wieder gekommen ist. Wenn ja, ist der Zeitpunkt gekommen, den Notarzt zu rufen. 144.
> Wenn es nichts geholfen hat, braucht es eine Herzmassage. Mit der flachen Hand zwischen der Brust (auf dem Sternum) gezielte Impulse geben. In der Intensität etwa so stark, dass der Brustkorb 1/3 eingedrückt wird. Und von der Frequenz her braucht es 100 Stösse pro Minute, also cirka 2 pro Sekunde. Nach 60 Stössen solle man wieder zwei Beatmungen geben, dann weiter machen mit 60 Stössen. Dies so lange wiederholen, bis das Kind die Atmung wieder übernommen hat. Danach den Notarzt anrufen. 144.
Dieses Notfallblatt hänge ich nun an einem gut sichtbaren Ort auf, so dass ich es mehrmals pro Tag sehen und lesen kann. So will ich mir die erste Hilfe einprägen, bis auf die Knochen, bis ich spüre, ich kann trotz aufkommender Panik mich wieder erinnern, was ich tun kann.
Dieser Arztbesuch und mein Notfallblatt lassen mich nachts wieder schlafen. Ja, auch ich kann Leben retten, es gibt Möglichkeiten, die ich jederzeit mit meinen Händen und meinem Mund zur Verfügung habe. Dies gibt mir wieder Boden unter den Füssen.
Herzliche Grüsse von Iren, die Calista immer wieder fest ans Herz drückt und ihre Nase in Calista's Nacken steckt, um einen tiefen Atemzug von ihrem feinen Körpergeruch zu nehmen...