Claudia, meine Perle, fragte mich am Montagmorgen, wie er gewesen wäre, unser Kurzurlaub mit dem VW-Bus. Ich guckte sie schweigend an und überlegte, was ich nun antworten soll. Ich schmunzelte dann und meinte: Halb - halb.
Halb schön. Halb nicht schön.
Unser Ziel war der Campingplatz "Les Horizonts Bleus" am See in Villeneuve, gleich neben Montreux.
Auf dem Weg dahin erinnerten wir uns, dass wir vor 16 Jahren das erste gemeinsame Abenteuer nach Montreux unternahmen, Christian und ich. Wir fuhren damals gemeinsam mit Freunden ans Jazz Festival und übernachteten dann freestylemässig am See. Wir waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht zusammen, waren aber schon ineinander verliebt... Wir kennen diese Gegend auch aus unseren Studien. Christian hatte mal ein Semester in Lausanne studiert und ich ein Jahr an der Kunstschule in Sion. Das war aber noch viel länger her, wo wir noch nichts voneinander wussten. Und nun fuhren wir mit einem kinderreichen VW-Bus wieder an den Genfersee, diesmal durch Montreux hindurch zum Campingplatz. Es war bereits vorgerückter Abend, als wir ankamen.
Die Kinder freuten sich riesig und waren total hibbelig und zappelig. Endlich campieren! Wir packten unser Hab und Gut aus und zündeten gleich die Laternen an. Sind sie nicht wunderhübsch, diese romantischen Lichtlein? Eine kleine Flasche Prosecco haben wir auch eingepackt und wir freuten uns auf den Moment, wenn die Kinder schliefen und wir noch ein ruhiges Stündchen zusammen draußen sitzen und zur Feier unseres ersten VW-Bus-Abenteuers am Glas nippen konnten. Wie kriegt man aber drei, vor Freude und Aufregung hüpfende und qietschende, Mädchen ins Bett?
Es wurde spät. Für die Kinder, dann auch für uns. Und pünktlich um sechs Uhr morgens wurden Calista und Cosima wach. Auch wieder vor Aufregung und Freude. Cosima zog dann bald mal los mit der Idee, Brot zu kaufen. Und sie kam mit Baguette und Gipfeli zurück. Der nette Herr vom Camping, der ein paar Brocken Deutsch sprach, führte sie in die nächste Bäckerei. Christian und Thalia schliefen immer noch, als Cosima bereits auf dem großen Trampolin stand und hüpfte. Diese Energie!
Zu uns gesellte sich eine Mutter mit zwei kleinen Kindern. Ich habe sie schon lange gesehen, wie sie mit dem Kinderwagen ihre frühmorgentlichen Runden gedreht hat. Wir schauten uns beide müde und zerzaust an und kamen ins Gespräch. Auch sie haben die allererste Nacht in ihrem neuen VW-Bus verbracht. Auch sie haben fast kein Auge zugedrückt. Und auch sie waren irritiert über das kleine-heile-Welt-Biotop um uns herum. Es gab viele Permanent-Camper, die ihr XXL-Wohnmobil fix stationiert haben, mit großem Vorzelt und einem kleinen Gärtchen rundherum, einige mit Gartenzwergen.
Haben wir doch geglaubt, mit unserem kleinen Bus eine große Freiheit erreicht zu haben. Wie Marlboroman, individuell und abenteuerlich unterwegs zu sein. Und wo sind wir gelandet? In einer Art Schrebergarten. Keine fünf Meter Abstand zum Nachbarn. Man hört und sieht alles. Jeder pflegt seine Ordnung und schaut, was der andere macht. Mir wurde ein bisschen flau im Magen. Es tat gut, mich mit Monique, dieser Mutter, darüber auszutauschen und über uns zu lachen. Der Morgen war grau verhangen, die Nacht saß uns noch in den Knochen und die Kinder hüpften vor unseren Augen hoch und runter.
Nein, so haben wir uns Campieren nicht vorgestellt. Das war nicht der Ort unserer Träume, so wollten wir keine Ferien verbringen. Ich brauche mehr Luft zum Nachbarn. Ich habe keine Lust, der älteren Frau mit den auberginen-gefärbten, kurzen Haaren zuzuschauen, wie sie über den Brillenrand blickend die gegrillten Crevetten ihrem pensionierten Mann auf den Teller knallt, um ihm dann ein paar Sekunden später lieblos zuzuzischen, dass er bitte die Gabel benutzen soll. Auch mag ich nicht die ganze Zeit den Herrn mit bluthochdruckrotem Gesicht hinter uns beobachten, wie er in seinen Shorts und dem zu kurzen T-Shirt schwerfällig ein paar Schritte zu seinem Platikstuhl geht, sich wieder hinein plumpsen lässt und sich die nächste Zigarette anzündet, während seine Frau den Abwasch macht und den Hund spazieren führt.
Und wenn ich dann kurze Zeit später das Kochwasser abgieße und den Kindern draußen zurufe, zum Essen zu kommen und nachfrage, ob sie die Pasta mit Sauce essen wollen und wer noch Käse darauf mag, dann beobachte ich mich selbst mit kritischem Blick und winde mich in meiner eigenen Biederkeit. Auf meine tagtäglichen Handlungen fällt plötzlich ein anderes Licht. Ich halte das kaum aus.
Wir mussten raus aus dem Biotop und wanderten den See entlang Richtung Montreux. Wir wollten zum Schloss Chillon. Diese alte Burg war ein schönes Erlebnis!
Chateau de Chillon, gemalt von Gustave Courbet |
Wir sind die steilen Treppen hoch und runter, von Zimmer zu Zimmer gegangen. Haben immer wieder neue Winkel und Blickpunkte entdeckt, staunten und fanden es sehr aufregend. Trotz Schlafmangel zeigten die Kinder viel Interesse und Ausdauer und erst nach einigen Stunden standen wir wieder vor dem Kiosk am Eingang, wo wir für die Heimreise eine Tafel Schokolade kauften.
Rechts am Seeufer, nicht erkennbar, ist unser Camping gelegen. Eine wunderbare Lage... |
In Villeneuve, einem hübschen, alten Städtchen, spazierten wir durch die Haupteinkaufsstraße und kauften uns in einem Laden, wo jeden Tag in grossen kupfernen Kochtöpfen mit viel Leidenschaft Marmelade eingekocht wird, Rosengelée für den nächsten Morgen.
In einem VW-Bus zu erwachen ist lustig, weil da die Kinder so frech auf einen runter gucken können.
Hallo, Mama! Hallo Papa! Hallo Calista!
Und von unten echot es freudig: Allo!
Lasst uns frühstücken! Aber die ersten Sonnenstrahlen wurden bald von schweren Regenwolken überschattet und es begann heftig zu regnen. Etwa zeitgleich machte ich einen herzhaften Schritt aus dem VW-Bus, noch leicht geduckt, und - zack! Autsch! Sch...! Ich jaulte auf und hielt mir das Kreuz. Irgendwie hangelte ich mich wieder zurück und legte mich rücklings auf die Sitzbank. Das war's. Ich stand nicht mehr auf, das heißt nicht mehr richtig. Nur noch gebückt, unter starken Schmerzen. Hexenschuss. Eingeschossen von null auf hundert, noch bevor ich Rosengelée mit Baguette essen konnte.
Die Stimmung war endgültig am Nullpunkt. Es war Samstagmorgen und wir packten unter Protest der Kinder unsere Sachen zusammen, verstauten unsere romantischen Laternen wieder in der Sitzbank-Kiste und bezahlten die Rechnung. Wir wollten wieder nach Hause, wir wollten wieder in unserem Bett schlafen. Weich und warm.
Das war unsere erste VW-Bus-Reise.
Halb - halb.
Und wir haben gelernt:
> Campingplätze suchen, wo man nicht so eng aufeinander hockt.
> Am liebsten in Ländern, wo man für eine Nacht free camping machen darf.
> Nicht zu früh im Frühling campieren, weil es nachts zu kalt wird.
> Zusätzliche Schlafunterlage besorgen, damit wir weicher liegen.
> Für Calista ein extra Bettchen kaufen.
> Vorhänge für die Windschutzscheibe vorne nähen.
> Unbedingt ein "Abwaschbecken" kaufen.
> Schneidebrett und Wäscheklammern ins Inventar nehmen.
> Genug Feuchtigkeitstücher an Lager haben.
> Kassettengeräte mit Kopfhörern den Kindern hinten auf die Fahrbank geben, damit sie die längeren Fahrten im lauten Bus besser ertragen.
> Und wenn ich mich wieder motivieren will, diesen Link anklicken Lady Bonin's Tea Parlour. Es könnte sooo schön sein... ;-)
Claudia musste lachen über meine Erzählung und ich stand ächzend vom Bettrand auf. Am Sonntagnachmittag hat mir der Notarzt vier Spritzen in den Rücken gejagt, doch die halfen nicht wirklich.
Jetzt ist es dann bald eine Woche her und ich habe erst heute, nachdem ich zwei sehr effektive Shiatsu-Behandlungen von meiner lieben Brigit bekam, meine Schmerzmittel absetzen können. Ich war die ganze Woche körperlich ziemlich angeschlagen und von den Medikamenten sehr müde. Christian wollte bereits an diesen kommenden Pfingsten wieder los fahren und fragte mich heute Abend, wohin ich gerne möchte.
Ich?!
Es grüsst Euch iren, die bestimmt nirgends hin will an Pfingsten.