Mittwoch, 28. August 2013

Mami?

Ich ziehe Calista gerade ihr rotes Jäckchen an, um zusammen nach draussen zu gehen, da sagt sie: Mami? - Ja, Calista? - Gääm!(gern) und sie umschlingt meinen Hals mit ihren zarten Kinderärmchen und lacht mir ins Ohr. (Und würde ich aus einer schmelzenden Substanz bestehen, wäre ich nur noch eine Pfütze gewesen...)


Beim Gute-Nacht-Kuss gestern Abend hat mich Thalia fest umarmt und mir versichert, sie werde nie, nie weglaufen! Ich gehe mich nur verstecken, und dann komme ich hervor, wenn du mich rufst. Ich vermisse Dich sonst zu fest. - Dann bin ich aber froh, ich vermisse dich sonst auch zu fest... Das war der versöhnliche Abschluss eines turbulenten Mittags, an dem die beiden Grossen so heftig und laut stritten, bis sie Calista aus dem Mittagsschlaf rissen (und ich war so stolz und froh, sie endlich wieder einmal in den Schlaf bekommen zu haben und habe mir schon die kühnsten Pläne ausgeheckt, was ich alles machen werde, wenn die Grossen nun gleich in die Schule gehen...) und ich dann wie Rumpelstilzchen sehr wütend und noch lauter als sie wurde und Dinge sagte, die nicht nett waren. Darauf hin hat Thalia verkündet, dass sie nun ausziehen werde, zur Tür ging und sie mit einem lauten Knall ins Schloss fallen liess. Als ich fünf Minuten später hinaus ging, um sie zu rufen, für in die Schule, da war es ganz still draussen und nichts rührte sich. Ich lief rufend in der Nachbarschaft herum und kriegte plötzlich Angst und glaubte doch, dass sie ernsthaft irgendwo hin gelaufen ist. Als ich dann wieder zu unserer Haustür zurück kam, erblickte ich dort ein kleines Mädchen mit eingezogenen Schultern und gesenktem Kopf, das mich unsicher anschaute. Ich eilte auf sie zu und wir umarmten uns ganz fest. Sie habe nur die Tür zugeknallt, sei aber drin geblieben und habe sich mit Bello (ihr grosser Stofftierhund) unter der Treppe versteckt... Bin ich froh, dass du nicht weggelaufen bist, mein Schatz! Ich bitte auch um Entschuldigung für die unnetten Worte...


Heute morgen kriegte ich von Cosima ein süsses Briefchen mit vielen Herzchen und sie gratulierte uns zu unserem Hochzeitstag. Später dann musste ich sie fest umarmen und mich entschuldigen, weil ich gleich los schimpfte, als sie fragte, ob sie Geld mit in die Schule nehmen dürfe. Ich wollte nicht, dass sie sich viel grösser fühlt als sie ist und glaubt, in der grossen Pause mit dem Geld in den nächsten Laden zu laufen und sich etwas kaufen zu können (wie es ältere Mädchen schon gemacht haben). Darauf hin schaute mich Cosima wütend an und sagte: Dann kaufe ich dir halt kein Geschenk! Geht ins Zimmer und schlägt die Tür zu. Voll daneben! Ich Doofkopf habe nur schlechte Gedanken in sie projiziert, dabei wollte sie mir nichts als Freude bereiten. Weil wir heute Hochzeitstag haben und Christian beruflich weg ist, in Südafrika. Es waren reine, liebliche Absichten.


Wie schrecklich Mütter sein können.

Ja, die Kinder sind unsere Lehrer, jeden Tag - jeden Tag bekomme ich emotionale Lektionen. Danke! 

Iren (die auch heute wieder "Ja" sagt... zu Christian und zu allem.)

Nachtrag von heute Abend: Cosima und Thalia haben mir am Nachmittag Küchenverbot gegeben und spontan einen "Freestyle-Kuchen" gebacken, d.h. ohne Rezept... - dies zur Feier unseres Hochzeitstages (armer Christian, ganz alleine in Südafrika...). Er hat wunderbar nach Liebe geschmeckt und ich hätte noch viel mehr essen können, als auf dem Teller war! Thalia hat mir dann ganz begeistert das Rezept niedergeschrieben. Das kommt nun in mein Familienkochbuch:


3 Eier, 10 Löffel Mehl, 3 Löffel Puderzucker, halbes "Säcklein" Salz (?) und Schokolade.

Donnerstag, 22. August 2013

etwas Musik

Die Woche ist gestartet mit einer grossen Welle, die schäumend über mich schwappte. Ich bin noch dabei, in diesem Meer schwimmen zu lernen, ohne dauernd den Kopf unter Wasser zu haben oder mich zu verschlucken...

Unsere Mädchen sind gerade dabei, wieder Quantensprünge in ihrer Entwicklung zu machen. Schulanfang, neue Klasse, neue Lehrerinnen, neue Spielgruppe, neue Sportteams, neue Anforderungen. Es ist eigentlich eine sehr spannende Phase. Aber für mich bedeutet dies alles neue Stundenpläne, Musikstunden über Mittag, Sporttrainings an drei Abenden und natürlich Bringen-Holen-bringen-holen-bringen-holen... Ich habe noch überhaupt keine Routine, um einen mehr oder weniger harmonischen Ablauf hinzubekommen. Ferienrhythmus noch in den Knochen und Christian die ganze Woche weg - dies rundet unseren neuen Alltag von dieser Woche ab. Dieses Schuljahr ist von mir viel clevere Organisation gefragt, sonst werde ich im Hamsterrad laufen. Aber ich will es schaffen, für jedes einzelne Kind regelmässige Zeitnischen im Alltag zu finden, wie auch für mich und für Christian. Diese Zwischenräume sind sehr wichtig.

Meine Ärztin, die meine Eisenwerte regelmässig kontrolliert, hat mir heute Chinesische Kräuter und Tinkturen verschrieben, um mich körperlich zu stärken und seelisch wieder ein bisschen zu stabilisieren. Das tut mir gut und ich bin dankbar, dass sie eine  Ärztin ist, die sich fürs Zuhören und Aufmerksamsein noch Zeit nimmt.

Es tut mir auch gut, die Lieder zu hören, die wir in den Ferien viel gehört und gesungen haben. Zwei ganz unterschiedliche Liedermacher haben uns in diesen Sommerwochen musikalisch begleitet: Bosse und Mani Matter. Oft hat Christian die Gitarre in die Hand genommen und wir sangen Lieder von ihnen.

Mögt ihr mit mir ein paar Lieder hören? Meine Lieblingslieder, die mich an unsere Ferien erinnern und mir beim Anhören eine kleine Verschnaufspause geben?

"Kraniche" von Bosse:


"Der Sommer ist noch lang":



Ganz anders und auch aus einer ganz anderen Zeit, die wunderbaren, immer aktuellen Lieder von Mani Matter, leider wohl nur für meine Schweizer Leser und Leserinnen ein Ohrenschmaus wegen dem Dialekt... 

"Hemmige":

Weitere meiner Lieblingslieder von ihm sind:"Nei säget sölle mir" und "Lob der Faulheit". Und die Kinder selbst lieben "Ds Heidi":


Und nun gehe ich schlafen und Energie tanken... Gute Nacht!
Iren

Freitag, 16. August 2013

Wenn wir uns mitten im Leben meinen...

Wir sind eben aus den Ferien zurück gekehrt. Wir sind alle wieder da, heil und gesund und mit viel Erlebtem. Diese VW-Bus-Abenteuer-Ferien waren ganz anders als jene vergangenen Sommers. Wir waren in der Bretagne und in Cornwall. Und wie das Wetter in Cornwall täglich mehrmals von einer Minute auf die andere wechselte, von wärmendem Sonnenschein zu schweren, düsteren Regenwolken, so erging es uns mehrmals auch emotional. Mit bleibenden Spuren. Ich bin verunsichert. Das satte, lachende Leben hat wieder Risse und Brüche bekommen. 

Noch sehe ich das Gesicht des Motorfahrradfahrers vor meinem inneren Auge, der auf der Küstenstrasse neben seinem brennender Motorrad lag. Blut floss aus seinem Helm. Die Augen zu, die Gesichtsfarbe aschfahl. Leblos. Die Gesichter der herumirrenden Menschen, die mit groß aufgeschreckten Augen uns Heranfahrenden anschauten, mit den Armen herum fuchtelten und versuchten, den Verkehr zu regeln. 
Noch spüre ich den Schreck in den Knochen, noch höre ich meinen Schrei, als Thalia durch eine offene Luke im Boden der alten Fischerhütte direkt in den Keller hinunter stürzte. Haltlos. Aufprallte und gottlob gleich weinte... Meine Knien zittern heute noch, wenn ich daran denke, wie es auch noch hätte enden können... 
Und dann, ein Tag später, das SMS meiner Mutter, etwas Schreckliches sei passiert... Der Heimweg war für mein Herz schwer, denn er führte mich zur Beerdigung meines Onkels und Cousins, die vergangene Woche von ihrer Bergtour nicht mehr nach Hause gekommen sind. 300 Meter haltlos. Ich schliesse die Augen.

Tiefschürfende Bilder geprägt von Hilflosigkeit.

"Der Tod ist groß. Und wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen, mitten in uns." Rilkes Worte begleiten ihre Todesanzeige und können für mich treffender nicht sein. Wie habe ich das in diesen Ferien wieder zu spüren bekommen! Der Tod ist immer da, nur ein Millimeter neben uns. Es ist immer jederzeit möglich, das wir gehen müssen. Alle. Egal welchen Alters. Es gibt keine Reihenfolge.

Wir wissen es alle, und doch vergessen wir es jeden Tag von Neuem. Aber im Moment stehe ich da und meine Seele bebt. Ich schaue meine Liebsten an und in mir krampft es. Wie lange noch? Wie lange darf ich mein Glück genießen, meine Liebsten nahe bei mir wissen? In unseren Ferien mit dem VW Bus waren wir ganz nahe beieinander, schliefen gemeinsam auf wenigen Quadratmetern und kamen uns sehr nahe. Das war schmerzhaft schön. Wir saßen abends in unserem Bus, draußen wehte ein kühler Wind, Christian stimmte die Gitarre und wir sangen unsere Münder warm. Ich saß da und in mir bebte es, es schrie in jeder Faser meines Körpers, die Angst floss durch jede meiner Venen, aber ich hielt dicht. Lächelnd sang ich mit...

Ich benötige Zeit, um wieder in meine Mitte zu kommen, um wieder einen Halt zu finden in mir drin. Kraft und Zeit, um die permanente Präsenz des Tods wieder ignorieren zu lernen, um wieder mehr Vertrauen ins Leben aufzubauen. 

Bald kommt der Schulalltag und das wird mir helfen. Und wenn ich genug Abstand finde, werde ich auch von den schönen Erlebnissen unserer Ferien berichten; deren vieler waren.

Glücklich und traurig,
traurig und glücklich,
Eure Iren