AUS DEM LEBEN - Beslim

Beslim - das ist die Geschichte eines jungen Mannes mit Down Syndrom, der nicht verstand, warum seine Geschwister heiraten und eine Familie gründen durften und er nicht. Keine Erklärung leuchtete ihm ein und er blieb mit seiner dringenden Bitte hartnäckig: Er will heiraten und Kinder kriegen.

Im Nachbarsdorf lebte eine junge Frau namens Remzie, die als kleines Baby sehr hohes Fieber und Kinderlähmung bekam und seither vom Hirn verursachte Seh- und Hörstörungen hatte. Die Familie von Beslim entschloss sich, diese beiden jungen Menschen einander bekannt zu machen.

Beslim und Remzie habe ich besuchen dürfen. Zusammen mit seinen Verwandten aus der Schweiz: Blerina, seine Nichte, Sheriban seine Schwester (Blerina's Mutter)und Blerina's Schwester Bjeshka. Ein Auto voller Frauen fuhr an einem Sonntagmorgen über die Grenze nach Österreich, in die Nähe von Innsbruck, wo Beslim und Remzie leben. Bereits vor dem Haus hat uns Beslim erwartet und ans Herz gedrückt. In seinem bescheidenen, sauberen Zuhause empfing uns den Rest der Familie und hieß uns herzlich willkommen. Wir setzten uns aufs Sofa und ließen uns Apfelsaft einschenken. Die Stimmung war ganz aufgeregt und voller Freude, einander zu sehen. Das Gespräch wurde mit den traditionellen Fragen "Wie geht es Dir? Wie geht es Deiner Familie?" eröffnet. Wir knabberten ein bisschen Chips und Schokolade und ich machte die ersten Fotos. Remzie kochte mit ihrer Schwiegermutter ein typisches kosovarisches Essen mit warmem Kichererbsenfladenbrot und Fetakäse. Die kleine Wohnung war mit Menschen gefüllt, die einen starken Zusammenhalt leben; zwischen den Wänden vibrierte es vor Herzenswärme. Man spürte, dass nicht nur familiäre Bande, sondern eine aussergewöhnliche Geschichte diese Menschen zusätzlich verbindet. Ich fühlte mich sofort aufgenommen und sehr wohl unter ihnen.

Beslim, deine Liebesgeschichte finde ich wunderbar. Wie hast du Remzie kennen gelernt?
Bevor meine Familie ein geplantes Treffen mit mir und Remzie arrangieren konnte, haben wir uns zufällig bei Verwandten getroffen und ich habe mich sofort in sie verliebt. 
War es also Liebe auf den ersten Blick?
Beslim lacht: Ja!
Und dann?
Dann habe ich ihr auch gleich den Heiratsantrag gemacht. Am gleichen Tag noch.
(Ich wende mich an Remzie) Hast du ihn sofort angenommen oder wolltest du noch Bedenkzeit?
Remzie: Nein, ich habe den Antrag angenommen, denn Beslim gefiel mir sehr gut. Auch bei mir war es Liebe auf den ersten Blick...

Mit dem Eheversprechen und Segensspruch eines älteren Verwandten wurde die Hochzeit traditionell besiegelt und darauf haben sie sich zum ersten Mal geküsst, erzählen sie lachend.



Was liebst du an Remzie speziell?
(Seine Augen beginnen wie tausend Sterne zu funkeln, er legt beide Hände auf sein Herz): Alles! Ich liebe alles an ihr!

Und du Remzie, was liebst du speziell an Beslim?
Auch alles (und kichert).

Sie tuschelt darauf mit ihrer Schwiegerschwester und lacht verlegen. Diese wendet sich mir zu und sagt, dass Remzie ihr eben gesagt habe, dass sie nicht sagen könne, was sie an ihm speziell liebe, weil es zu intim sei... Wir mussten lachen und Remzie errötete und lachte auch.

Ihr seid eine außergewöhnliche Familie. Wie kam es, dass ihr eigene Kinder geplant habt? Brauchte es für Euch Mut dazu oder war es eine selbstverständliche Entscheidung?
Beslim: Ja, es war für mich ganz selbstverständlich, denn alle meine Geschwister hatten Kinder, nur ich nicht. Ich wollte auch Kinder kriegen dürfen.

Großmutter Time, Beslim's Mutter, erzählte darauf, dass die ganze Familie dagegen war, dass er Kinder kriegen soll. Nur Sheriban, seine Schwester, fand, dass er das auch dürfe. Sie war die einzige, die sich für ihn und seine Bedürfnisse einsetzte.

Schwester Sheriban und Bruder Beslim










Schließlich fanden sie einen Arzt, der sich bereit erklärte, den damals 22-jährigen Beslim auf seine Fruchtbarkeit zu untersuchen. Das Resultat zeigte, dass alles in Ordnung war und er durchaus Kinder zeugen könne. Somit hat auch seine Mutter Time eingewilligt, mit dem Wissen, dass sie in Zukunft eine große Rolle beim Aufwachsen ihrer Enkelkinder haben wird. Und mit dem Wissen, dass die Kinder wegen dem Vater 50% Chance hatten, auch das Down Syndrom zu haben.

Hattet ihr Angst, als Remzie mit dem ersten Kind schwanger war, ob alles gut kommen wird, ob ihr der neuen Aufgabe gewachsen sein werdet? 
Beslim: Nein, wir hatten keine Angst. Wir wussten, dass wir das Kind so nehmen werden, wie es kommen wird, uns war alles willkommen.

Und Sheriban fügte an, dass sie keine Angst vor der Aufgabe hatten, weil sie die Unterstützung der Familie zugesichert bekamen. Sie wussten, dass sie mit dem Kind nicht alleine sein werden.

Remzie durfte in den folgenden Jahren zwei Kindern das Leben schenken. Einem Mädchen namens Fitore und einem Jungen namens Arnis. Beide Kinder sind vollkommen gesund, bildschön und überdurchschnittlich intelligent.


v. l. n.r: Sohn Arnis (9), Vater  Beslim (35), Grossmutter Time (72), Mutter Remzie (39) und Tochter Fitore (11).

Wie sieht euer Alltag aus?
Beslim (stolz): Ich und Remzie gehen jeden Tag zur Arbeit. Ich arbeite in der Schreinerwerkstätte.

Remzie: Und ich arbeite in der Wäscherei, ich bügle dort. Und ich häkle. 

Großmutter Time: Und die Kinder gehen zur Schule und danach zu einer Tagesmutter, die sie auch mit den Hausaufgaben unterstützt. Abends sind dann alle wieder Zuhause und Remzie hilft beim Kochen und im Haushalt mit.

Beslim, kannst du auch kochen?
(lächelt) Nein, ich koche nicht, aber ich kann gut Staubsaugen. Ich übernehme diese Arbeit immer. 

Und er staubsauge sehr gut und genau, in jeder Ecke reinige er, fügt Time an.

Wer übernimmt die Kindererziehung?
Vor allem die Großmutter, aber auch Beslim. Remzie weniger, denn Beslim kann strenger sein als Remzie.


Wo habt ihr Schwierigkeiten? Wo braucht ihr Hilfe von außen?
Der Alltag klappt eigentlich sehr gut, solange es der Großmutter Time gesundheitlich gut geht. Sie hat die Hauptverantwortung und sie ist für alle da und schaut, das alles richtig läuft. Sie hat auch die Vormundschaft für alle.

Wovon lebt ihr?
Remzie und Beslim bekommen Sozialhilfe, dafür arbeiten sie in einer sozialen Werkstätte. 

Fitore und Arnis sind ganz normale Jugendliche, die sich im Verlaufe des Nachmittags auch vor den Computer setzen oder mit dem Mobile in der Hand sich von der Konversation verabschieden. Technisches Verständnis hat auch ihr Vater Beslim, der gerne mit seinen Geschwistern in Kosovo per Skype spricht und ganz selbstverständlich den Videorecorder installiert um Videos seiner Hochzeit zu zeigen.


Sind die Kinder oft Fragen von Mitschülern ausgesetzt oder geltet ihr als "ganz normale" Familie? Seid ihr gut integriert?
Die Kinder erzählen nie, dass sie gehänselt werden und sie sind gut integriert. Im Gegensatz zur Heimat sind wir hier in Österreich total akzeptiert.

In Kosovo, so wurde mir darauf erzählt, sei alles viel schwieriger gewesen. Familien, die ein solches Kind bekommen, hielten es normalerweise im Haus versteckt. Beslim wurde nicht versteckt, sie wollten für ihn ein möglichst normales Leben und kämpften auch dafür, dass er in die Schule kann. Frühförderung und Integration ist ein Fremdwort, Beslim durfte erst mit zwanzig Jahren in eine Schule. Fünf Jahre lang ging er dann eifrig und eisern zur Schule und lernte schreiben, obwohl er täglich Hänseleien und Übergriffen ausgesetzt war. Andere Jugendliche haben ihn nicht nur geschlagen und beschimpft, sie haben ihm auch immer alles abgenommen, was interessant war: Seine Uhr, seine Halskette, seine neue Jacke...  Er war wehrlos und sehr unglücklich und bat seine Mutter immer wieder, das Land zu verlassen. Da half ihm wieder seine Schwester Sheriban, die schon länger in der Schweiz lebte. Sie holte die ganze Familie zu sich und bekam ein Flüchtlingsvisum für drei Monate. Danach brachte sie die junge Familie nach Österreich, wo sie problemlos aufgenommen wurden. Seither leben sie in der Umgebung von Innsbruck und Beslim ist sehr glücklich dort. Er möchte nicht mehr nach Hause zurückkehren, obwohl sie dort ein schönes Haus mit Garten hätten und finanziell und materiell ein besseres Leben führen könnten. Aber die gesellschaftliche Intoleranz hat ihn zu sehr an seine psychischen Grenzen gebracht. In Österreich leben sie zwar zu fünft in einer kleinen Dreizimmerwohnung, doch er fühlt sich wohl und frei. Er ist glücklich, dass er von den Nachbarn mit "Servus!" begrüßt und nicht als Dummkopf beschimpft wird.

Beslim, du hast trotz schwierigen Vorraussetzungen viel erreicht in Deinem Leben. Du konntest zur Schule, bist glücklich verheiratet, hast zwei tolle Kinder und arbeitest vollzeit. Hast du noch Träume, was möchtest du noch erreichen?
Er überlegt einen Moment: Ich wünsche mir ein Auto. Ich möchte gerne autofahren lernen, aber ich darf nicht.

Remzie, was wünschst du Dir noch?
Ich wünsche mir, dass ich gut sehen und hören kann und mein Hirn normal funktioniert. So gerne würde ich Time entlasten und die volle Verantwortung im Haushalt und als Mutter übernehmen, doch ich kann nicht. Ich war einmal bei einem Spezialisten, der meinte, man könnte es mit einer Operation behandeln, doch es besteht das Risiko, dass es nicht gelingen wird und dann wäre ich im Rollstuhl. Davor habe ich zu große Angst, ich bleibe lieber so, wie ich bin. Mein ganzes Leben habe ich so gelebt, ich kenne nichts anderes. Ich habe ja alles, was ich mir wünsche (und sie zeigt zu Beslim und ihren Kindern).

Habt ihr etwas auf dem Herzen, was ihr uns Mitmenschen sagen möchtet?
Man soll nicht auf andere Menschen hören und trotz Behinderungen heiraten und Kinder haben.


14 Kommentare:

  1. Wie wunderwunderschön! So sollte es doch für jeden Menschen sein! Vielen Dank, dass Du diese Familiengeschichte mit uns geteilt hast!

    Theresa

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  2. Bravo! Mir ging das Herz auf bei der Lektüre! Danke fürs Teilen, so sieht doch eine integrative Gesellschaft! Annette

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  3. Was für eine wunderbare Geschichte! Ich wünsche mir, dass ganz, ganz viele Menschen davon hören und es sie zum Nachdenken bringt. Danke!

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  4. oh! ich habe deine geschichte nun beinahe atemlos gelesen!
    ganz, ganz vielen dank dir fürs teilen :-)
    von herzen
    christina

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  5. isch im fall eifach so e schöni gschicht. danke. flurina

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  6. Eine ganz schöne Geschichte, da werde ich doch gleich mal nen Link zu Deiner Seite erstellen, damit ganz , ganz viele Leute dies lwesen können!!
    Vielen Dank!!!
    Liebe Grüße
    Sabine

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  7. So Familiengeschichten liebe ich! Vielen Dank für den Einblick ins Leben dieser außergewöhnlichen Familie!
    Heike

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  8. Oh ist das eine schöne Geschichte!Meine Tochter und ich sitzen wie gebannt vor dem Rechner... Alles alles liebe für die fünf wenn Du sie siehst.
    GvlG
    Tanja

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  9. Wow, auch ich habe völlig gebannt diese wunderbare Familiengeschichtr gelesen... Danke fürs Teilen!
    Ganz liebi grüäss, anja

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  10. Beeindruckend und schön. Das Leben, der Alltag und vor allem diese so tiefe Liebe.

    Ich wünsche der Familie alles erdenklich Gute und Schöne und Fröhliche und Kraftvolle.

    DANKE Iren, dass Du für diese Menschen auf Deinem Blog einen Raum geschaffen hast. Mit sehr ...hm... aussagekräftigen und strahlenden Fotos.

    Herzlichste Grüße
    Oona

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  11. Oh schöööööööööööööööööööööön! Danke für diesen tollen, herzerwärmenden und mutmachenden Bericht!
    *wink*
    Nora

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  12. Ich habe mir erlaubt deinen Blog zu teilen :-)
    und vielen geht es so wie mir - nur weil man sich etwas nicht vorstellen kann, heißt es nicht, dass es nicht möglich ist.
    Martina

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  13. Es berührt mich so sehr! Danke, für die Geschichte und die Fotos. Ich finde solche schöne Lebensbeispiele geben einem viel Mut einfach so zu sein wie man ist.
    Sabine

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