Den gestrigen Tag brauchte ich für meine seelische Rekonvaleszenz, ich musste mich wieder in den Bahnen des Alltags einfinden. Ich habe am Tag davor bereits bemerkt, wie mich die Untersuchung im Spital vor allem emotional auf eine Probe stellen wird. Dann nämlich, als ich bei einer Freundin am Telefon plötzlich in Tränen ausbrach und spürte, von wie tief unten sich dieser Schmerz den Weg noch oben gebahnt hat.
Der Operationssaal und das Vorbereitungszimmer waren gleich neben der Intensivstation B, dort, wo Calista nach der Geburt gelegen hat, dort, wo die emotionale Welle damals am höchsten war. Ich stand gestern draussen im Korridor, nachdem ich Calista, die bereits vom Dormicum sehr benommen war, hinein getragen habe und wartete auf Christian, der noch eine Minute länger bei ihr blieben durfte, bis sie definitiv eingeschlafen war (dazu durfte leider nur ein Elternteil bleiben). Da ging Dr. Dave an mir vorbei, Calista's Herzchirurg. Ich erkannte ihn erst, als mich Christian, der neben mich getreten ist, darauf hinwies. Von hinten habe ich ihn nicht erkannt. - Oh, schade, ich hätte ihm gerne die Hände geschüttelt und mich nochmals für seine grosse Arbeit damals an Calista's Herz bedankt! Aber ich wollte ihm nicht hinter her laufen, ich war unsicher, er würde uns nicht wieder erkennen. Doch es hätte ihn gefreut, dennoch ein Kompliment über seine Arbeit zu bekommen.
Wir gingen rüber, in die Mensa. Es war beinahe halb zwei und wir haben seit morgen früh nichts gegessen. Aus Solidarität zu Calista, die nüchtern bleiben musste. Wie ich in der Mensa vor den Menüs stand und mir das Mittagessen aussuchte, da schaute ich kurz nach rechts, zu den Sandwiches und Salaten und erschrak fast, weil Dr. Dave ein Meter neben mir stand und sich gleich ein Brötchen langte. Jetzt, sprich ihn an! Befahl eine innere Stimme mir. Aber ich blieb stumm, ich unternahm nicht einmal den Versuch, den Mund zu öffnen. Ich wusste, ich werde sofort wieder zu weinen beginnen. Die Vergangenheit war wieder so lebendig. Weinen wollte ich nicht. Ich wollte nicht unter Tränen mit ihm sprechen. Also liess ich ihn, zum zweiten Mal, an mir vorbei gehen, als würden wir uns nicht kennen, als hätte er nie eine grosse Rolle in unserem Leben gespielt. Aber nun sitze ich da und denke immer wieder an diesen Moment zurück, wie ich ihm nochmals die Hand hätte drücken und meine Freude und Dankbarkeit zeigen können. Manchmal, da fehlt mir im richtigen Moment den Mut, das zu kommunizieren, was mein Herz mir befiehlt. Schade.
Mangelnde Kommunikation innerhalb des (sehr netten) Spitalpersonals, das ist mir bei dieser Untersuchung von Calista aufgefallen. Pflegerinnen, die das Gewicht und die Grösse von Calista nehmen und aufschreiben, dann die Narkoseärztin, die eine halbe Stunde später alles wieder neu wissen will, die nach Unterlagen zum Herz fragt, die der Spital aber bereits im Dezember von unserer Kardiologin angefordert hat. Unsicherheit nach der OP, ob nun Calista die Endokarditisprophylaxe braucht oder nicht, hin und her, Telefonate ins andere Spital, dann doch die Prophylaxe. (Klar, die braucht sie, das ist für sie lebenswichtig!) Dann Unsicherheit über Austritt, Telefonate hin und her ob sie nun doch noch bleiben muss wegen weiterer Endokarditisprophylaxe. Kein Austrittsgespräch mit dem Gastroenterologe, der die Untersuchung machte, nur die Stationsärztin, die aber wenig wusste. Ich bitte sie noch, mir die OP-Bilder, die Histologie und den genauen Bericht auch zukommen zu lassen, denn mein Vater, der auch Gastroenterologie ist, möchte die Dokumente gerne einsehen. Sie sagte ja klar, zögerte kurz und meinte, sie müsse es sich aufschreiben, weil oben im Büro niemand mehr sei. - Danke, auf Wiedersehen!
Heute morgen, ich war überzeugt dass die Ärztin diese Bitte von mir vergass, rief ich selbst auf dem Sekretariat der Gastroenterologie an. Die Dame am Telefon wussten nichts davon, dass ich die gesamten Unterlagen wünsche, war aber sehr hilfsbereit. Sie teilte mir auch mit, dass wir nächste Woche einen Telefontermin mit dem Assistenzarzt haben werden. Telefontermin? Beim Austritt erzählte man uns von einem persönlichen Gespräch... - Hat man ihnen das gesagt?! Sie wünschen ein persönliches Gespräch? - Ja, gerne, mein Mann und ich wollen beide dabei sein. - Ok, dann schauen wir mal. Der Assistenzarzt wird nur noch bis März bei uns sein, ich gebe ihnen einen anderen. - Einen anderen Assistenzarzt? Wer hat denn die Magenspiegelung vorgenommen? - Der Oberarzt. - Wir hatten mit dem Oberarzt kein Austrittsgespräch, obwohl es vorgesehen war, ist es möglich, ihn noch zu sehen? - Ja, sie können das Gespräch mit dem Oberarzt machen. Nächsten Dienstagnachmittag, passt ihnen das? - Ja. Vielen Dank! Wir einigen uns auf die Zeit und darauf, dass ich alle Unterlagen am Dienstag persönlich erhalten werde. Wie ich das Telefon beendete, war ich glücklich, angerufen zu haben.
Und ich denke: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation! Es ist so wichtig, mit den Mitmenschen zu reden. Sich nicht zu scheuen, seine Wünsche und Bedürfnisse zu äussern. Aber genauso wichtig finde ich es, seine Freude und Dankbarkeit zu zeigen. Sich mitzuteilen, verbal, mit Kopf und Herz.
Herzliche Grüsse von Iren-Hasenherz, die nun Dr. Dave eine Karte schicken wird, um ihre Dankbarkeit doch noch zeigen zu können.
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Diese Marzipan-Käferchen machte ich kürzlich mit Calista und verteilte sie am Rundgespräch unserem Kinderarzt und den Therapeutinnen. |