Montag, 20. Oktober 2014

Peppo der Strassenkehrer













Calista saß zwischen ihren Schwestern auf dem Rücksitz des Autos und scrollte meine Mobilefotos durch. Plötzlich sah ich, dass sie auf die Agenda gekommen ist und mit dem Zeigefinger durch die Jahre in die Zukunft wanderte. Als ich mein Mobile wieder in die Hand nahm, war sie bereits im Jahr 2154 angelangt. Wusstet ihr, dass die Mobileagenda ins Unendliche läuft? Ich starrte auf den kleinen Bildschirm, auf die weit entfernten Monate und Tage, und mir wurde ganz komisch zumute. Diese Vorstellung, dass wir dann alle schon lange nicht mehr leben werden, dass die Welt dann wahrscheinlich total und komplett anders aussehen wird als heute, als gerade jetzt, diese Vorstellung gab mir ein laues Gefühl in den Magen. Diese kleine Mobileagenda eröffnete mir eine neue, absurde Dimension. Sie suggeriere mir, als gäbe es die Möglichkeit, einen Eintrag ins weit entfernte Jahr XY zu machen, etwas zu planen und einzutragen. 

Wir waren auf dem Rückweg. Wir waren zum Ferienabschluss ein Wochenende in den Bergen. Wir genossen warme, sonnige Stunden im goldgelben Bergherbst. Arvenholzgeschwängerte Luft. Jeder Atemzug war eine Wohltat. Jedes Lungenfüllen ein Energietrinken. Ich saugte auf und speiste ein. Ich holte nochmals tief Luft, bevor der Alltag heute wieder los ging.

Ich habe mir vorgenommen, wie Peppo der Straßenkehrer, mich auf die kleinen Schritte vor mir zu konzentrieren. Ich will nicht zu weit voraus schauen, mich mit der vagen Zukunft auseinander setzen. Ich möchte im Hier und Jetzt meinen Alltag entspannter gestalten. Heute, morgen und jeden Tag Zeit nehmen für eine Tasse Tee, eine heiße Schokolade. Ich will auf meine Energiereserven mehr Rücksicht nehmen. Konsequenter kleine Auszeiten nehmen, um wieder mehr für die anderen zu haben. Wie oft vergisst man das als Mutter? Wie oft werden eigene Bedürfnisse zurück gestellt, Müdigkeitssignale ignoriert?

Mein Alltag. Meine Routine. Meine Pflichten. Meine Wünsche. Meine Träume. Es wird nicht weniger, es wird nicht einfacher. Strenge Zeiten kommen auf mich zu, in denen meine Ansprüche angepasst und meine Ressourcen gut einteilt werden müssen. Die Balance zwischen ich und meiner Familie ausloten, die momentane goldene Mitte suchen... Habe ich mir dies nicht bereits zum Jahresanfang gewünscht? 

Peppo wird mein Begleiter werden. 

In den Ferien hat sich Cosima MOMO angehört. Ich habe die Geschichte gelesen, als ich so alt war wie sie und fand sie damals schon sehr zutreffend und zeitgenössisch. Aber wie ich die Geschichte dreißig Jahre später wieder so nebenbei mithörte, während ich die Wäsche zusammen legte und das Abendessen zubereitete, stockte mir immer wieder kurz der Atem. MOMO ist heute noch viel aktueller als gestern. Ich erschrak fast bei jedem Satz und es ließ mich nachdenklich zurück. Die grauen Männer, oh je, wie viele mehr sie geworden sind! Wie viel mehr Stundenblumen sie in all den Jahren, seit die Geschichte geschrieben wurde, den Menschen geklaut haben! Wieso lassen wir das nur zu? Wieso machen wir mit? 

2154. Nein, dieses Jahr ist nicht wichtig, wir brauchen keine Agenda, die einen Eintrag möglich macht. Wir brauchen Menschen wie MOMO und Peppo, den Straßenkehrer.

Herzliche Grüße von Iren, die sich in den Bergen immer wieder erden und zur Besinnung kommen kann.

16 Kommentare:

  1. Liebe Iren, das glaube ich Dir auf´s Wort - ich mag selbst bis 2050 nicht denken...:-(...da wäre ich im hohen Alter und ob ich das erlebe ist wirklich fraglich.
    Als ich noch jung war und die Kinder noch klein habe ich oft gedacht...ja, 2000, da wird meine älteste 16 sein - heute ist sie 30 und die Zeit rast immer schneller...jedenfalls gefühlt.
    Nein, hier und jetzt sein, kleine Auszeiten geniessen und überhaupt : Leben!
    Hg sendet Dir
    Birgit

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    1. Nein, 2050 ist auch schon viel zu weit... Heute - das riecht für heute.
      Cosima nahm dann mein Mobile in die Hand und scrollte mutig weiter. Sie wollte ein Ende finden, doch es kam keins. Sie scrollte bis weit ins Jahr 3000. Man sieht nicht nur die Jahreszahlen, es steht immer mit Monat und Tag. Du kannst also schauen, welchen Wochentag der 21. Oktober im Jahr 2050 hat. Oder 3050... Cosima gab dann auf. Ich schon lange!

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  2. Das macht mir gerade sehr bewusst daß die grauen Herren mich wohl völlig in ihrer Gewalt haben und mir all meine Stundenblumen genommen haben :(
    Danke für die Erinnerung!

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    1. Liebe Sandra, mich haben sie auch in der Gewalt... und zur Zeit flüchte ich bei jeder Gelegenheit in die Berge, weil ich sie brauche. Sie strahlen für mich MOMO aus. Aber Natur allgemein gibt einen wieder diese Ruhe zurück.

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  3. Danke für Deine Gedanken.
    Soweit kann ein Kalender gehen. Wahnsinn. Dabei bin ich schon erschrocken, vorausschauend, dass Ende des Jahres mein Jahr "Auszeit" vorbei ist. Hatte ich mich nicht gestern noch in "Sicherheit" gewogen, dass ich noch ein Jahr Zeit habe um einen neuen Job zu finden?

    In zwei Monaten ist Weihnachten. Unfassbar. Das kommt auch jedes Jahr schneller.
    AUFHALTEN kann eine nichts.

    ABER das Leben weitet sich in die Unendlichkeit, wenn ich im AUGENBLICK ganz BIN.

    Möge Dich Peppo bis zum neuen Jahresanfang sanft an der Hand halten.
    Ja. Genießen wir die Schokolade am regnerischen Herbsttag.
    Suchen wir Orte auf, wie z.B. die Berge, die uns erden und heilen.

    Ich grüße Dich herzlich
    Oona

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    1. Thalia fragt mich seit Wochen, wie viel sie noch schlafen müsse, bis Weihnachten sei... Für sie ist es noch sehr weit weg, für mich bereits erschreckend nah...

      Aber du hast recht, die Unendlichkeit findet man im Augenblick. Danke!
      Iren

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  4. Es ist so gut, dass es dich gibt! jetzt!
    Eine herzliche Umarmung, wenn du magst.
    Gabriela

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  5. Du bist ein Schatz, liebe Iren. Die Bilder, Deine Worte, Deine Gedanken. Danke fürs aufschreiben hier für uns. herzliche Grüsse
    Elisabeth

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    1. Ich grüsse dich ganz herzlich zurück und danke dir!
      Iren

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  6. Zuerst gelesen habe ich Momo in der zweiten Klasse. Dann immer wieder, dann einige Jahre nicht. Gerade heute stolperte ich beim Thema "Zeit", das ich im Unterricht behandeln sollte, über Momo. Es wird mal wieder Zeit Momo zu lesen und sich nicht hetzen zu lassen. Doch im Moment verfliegen die Tage, Stunden und Wochen wie nix Gutes und ich komme nicht hinterher. Das "echte Leben" neben all der Arbeit nicht verpassen und sich immer wieder an Momo und Beppo den Straßenkehrer zurückerinnern, das brauchen wir. Danke, dass Du unsere Gedanken erdest.

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    1. Ja, Momo ist zeitlos. Dieses Mädchen, diese Geschichte ist nicht nur Jugendliteratur, sie sollte uns durchs Leben begleiten, denn man kann immer wieder und wieder von ihr lernen.

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  7. Liebe Iren, ich bin seit längerem eine stille Mitleserin auf deinem Blog. Und möchte mich für deine Worte bedanken, es tut gut bei dir mitzulesen. Dieser Eintrag ist auch für mich gerade aktuell. Danke! Lg Tina

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    1. Liebe Tina, freut mich, dich "kennen zu lernen"! Ich war nun auch bei Dir schauen, worüber du bloggst und was Du mit uns teilst. Du hast zwei wunderschöne Blogs... und mit Freude und grossem Erstaunen las ich den Eintrag von anfangs Oktober über "Timeless Moments". Wow, es sind ja fast exakt dieselben Worte!!!!! - Hmmm, es geht vielen so... Wir brauchen alle eine Momo und einen Peppo in uns, sie fehlen... Herzlichen Dank für dein Kommentieren und Kennenlernen!
      Iren

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    2. Liebe Iren, oje da werde ich mit fremden Lorbeeren geschmückt. Ich habe leider keinen Blog, (noch) schreckt mich ab, persönliche Fotos oder Geschehnisse mit dem Internet zu teilen. Aber den Blog den du gefunden hast, tönt sehr spannend (wie ist die Adresse? Ich habe sie nicht gefunden)! Herzliche Grüsse! Tina

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  8. ja, ich muss mich auch immer bremsen und versuchen, sehr bewusst das hier und jetzt zu geniessen.

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