Es hat mich schon immer beelendet, wenn ich geschnittene Bäume sah. Wenn stolze, stämmige Riesen gefällt am Boden liegen. Sie sind unfähig sich zu wehren, unfähig, dagegen anzukämpfen. Ein Tier könnte wegrennen, sich verstecken, dem Menschen Mitgefühl hervorrufen. Aber ein Baum?
Zu unserem Haus in den Bergen gehört ein alter Apfelbaum, gepflanzt vor vielen Jahren von meinem Urgrossvater. Der Baum hat viele saftige Äpfel hervor gebracht und damit geholfen, meine Ahnen zu ernähren. Leider wurde dieser stolze Baum kurz vor unserem Kauf regelrecht verstümmelt. Bei der ersten Hausbesichtigung war Herbst und er stand da in vollem Fruchtstand; ich freut mich. Doch kurz vor der Überschreibung haben die damaligen Besitzer alle seine dicken, grossen, tragenden Äste abgeschnitten im Glauben, das sei Baumpflege. Ich kann keine anderen Worte finden als: Eine dilettantische Freveltat. Ich stand unter Schock, als ich den Baum später in seinem Elend dastehen sah. Es geht ihm seither auch entsprechend schlecht. Und mir auch. Ich versuche nun, ihm zu helfen, mich zu informieren. Dazu habe ich mir ein Buch von Peter Wohlleben gekauft, das für mich vielversprechend klang: Bäume verstehen: Was uns Bäume erzählen, wie wir sie naturgemäss pflegen. Ein Handbuch eines Försters zur richtigen Pflege eines Baumes. Ich ahnte nicht, was für eine Trouvaille ich für mich da gefunden habe. Er, der jahrelange Erfahrung als Förster gesammelt hat, bestätigt mir genau das, was ich schon lange auch so empfand: Bäume sind Lebewesen. Bäume haben Gefühle. Bäume kommunizieren.
Aufmerksam lese ich seine Worte: Bäume sind rätselhafte Wesen.(...)Sie sind die mächtigsten Lebewesen unseres Planeten, weisen die grösste Lebensspanne auf, und doch wissen wir sehr wenig über diese Giganten. Manchmal ahnen wir, dass da noch mehr sein muss, dass unter der rauen Rinde Geheimnisse verborgen sind, die sich uns auf den ersten Blick nicht erschliessen. (...)
Anscheinend haben Forscher in den 1970er Jahren heraus gefunden, dass Akazien sofort Bitterstoffe in ihr Laub einlagern, sobald Gazellen oder Giraffen daran knabbern. Mehr noch, sie strömen gleichzeitig das Gas Ethylen aus, um damit die Nachbarsbäume zu alarmieren, die dann ebenfalls sofort Bitterstoffe einlagern. Diese Tiere wissen das und laufen, sobald die Blätter ungeniessbar werden, nicht zum Nachbarsbaum, sondern 50-100m weiter, weil dort die Bäume den chemischen Alarmruf nicht mehr empfangen können. - Wie spannend! Ich lese angeregt weiter.
Wahrscheinlich haben die meisten Pflanzen ein chemisches Kommunikationssystem, und wir sind umgeben von einer munter plaudernden Pflanzenwelt. (...) Da die Forschung erst am Anfang steht, darf vermutet werden, dass Bäume ein umfangreiches Vokabular an "Duftwörtern" besitzen. Das Problem für unsere wissenschaftlich rational geprägte Gesellschaft ist, dass wir den Pflanzen seit dieser Entdeckung weitere Fähigkeiten zugestehen müssen. Gefühle zum Beispiel. Bohrt sich ein Insekt in die Rinde, so muss der Baum den Eindringling fühlen, es muss schmerzen, damit er mit Abwehrstoffen und der Warnung seiner Nachbarn reagieren kann. Bäume Gefühle zuzugestehen, geht sicher vielen von uns zu weit.
Peter Wohlleben schreibt weiter: Dass dennoch Land- und Forstwirtschaft, ja unsere ganze Gesellschaft Pflanzen mehr als Gegenstände denn als Lebewesen sehen, macht den rücksichtslosen Umgang mit ihnen viel leichter. Würde man den aktuellen Forschungsstand berücksichtigen, so müsste der Forderung nach artgerechter Tierhaltung auch ein Appell nach einer entsprechenden Behandlung der Pflanzen folgen. Doch so weit ist unsere Gesellschaft noch nicht.
Wenn Bäume nicht durch die Forstwirtschaft bevormundet würden, wenn ein Wald ganz naturbelassen und nach eigenen Regeln leben könnte, so würde er ganz anders aussehen. Und es gäbe auch ein ungestörtes "Sozialleben" unter den Pflanzen. Doch wir verstehen die Forstwirtschaft ironischerweise als eine Waldpflege, als "wir-meinen-es-gut-mit-den-Bäumen." Aber eigentlich wollen wir Menschen nur nutzen und kontrollieren.
Es berührt mich zu lesen wie Bäume sogar so was wie Elternschaft pflegen: Die Vorgänge, auf die wir in ursprünglichen Wäldern treffen, sind von einer unfassbaren Langsamkeit geprägt. (...) Schon die winzigen Sämlinge werden von ihren Baumeltern im Wachstum gebremst. Die Resthelligkeit, welche durch die mächtigen Kronen bis zum Boden durchdringt, beträgt nur noch drei Prozent des Tageslichts - zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Um den Kleinen über das Schlimmste hinwegzuhelfen, knüpfen die Mutterbäume zarte Bande über die Wurzeln - und versorgen den Nachwuchs mit Zuckerlösung. Derart gebremst, aber auch gefördert, mickern die Jungbäume viele Jahrzehnte vor sich hin. Der biologische Sinn: Das ganz langsam gebildete Holz des Stämmchens ist äusserst dicht, damit sehr pilzresistent und flexibel. (...) Der Lichtmangel ist natürlich kein Zufall: Er zwingt die Schösslinge dazu, gerade zu wachsen. (...)Der lotrechte Wuchs wird erreicht, indem der Nachwuchs in regelrechten Kindergärten aufwächst. Diese Gruppen "streiten" sich um jeden Sonnenstrahl.
(...) Die meisten Arten brauchen, wie zuvor beschrieben, den Schutz und die Erziehung durch die eigenen Eltern. Vertreter dieser Kategorie sind beispielsweise Buchen, Eichen, Weisstannen oder Fichten. Notfalls genügen auch Stiefeltern, also fremde Bäume. Für einen gesunden Wuchs müssen aber in jedem Fall Altbäume über den Schösslingen stehen. "Nesthocker" haben daher in der Regel schwere Samen, die direkt neben dem Mutterbaum zu Boden plumpsen, damit die Kleinen schön bei der Mama bleiben.
Ohje! Ich glaube, ich könnte euch das ganze Buch hier abschreiben... Ich höre nun aber auf und wer nun auch Feuer gefangen hat wie ich, dem empfehle ich das Buch selbst zu lesen. Leider musste ich während der Lektüre auch erfahren, dass unserem Apfelbaum nicht mehr geholfen werden kann. Denn er wurde nicht nur dilettantisch gestutzt und verkrüppelt, sondern seine Wunden wurden auch nicht verarztet. Wenn man einen Ast abschneidet der einen Durchmesser grösseren als 5cm hat, dann muss man die Schnittstelle innerhalb der ersten 10 Minuten mit Wachs versiegeln. Ansonsten dringen Pilze in den Baum ein und fressen sich immer tiefer in den Stamm, bis dieser ausgehölt ist. Unser Apfelbaum hat viele grosse, unbehandelte Schnittstellen bekommen. Natürlich vor unserer Zeit. Ich bin traurig. Was kann ich noch für ihn tun? Die Pilze sind bereits eingedrungen und richten ihr Unheil an. Ich kriege sie nicht mehr raus. Nach den Erfahrungen von Peter Wohlleben, dem Buchautor, hat er noch eine Lebenserwartung von 10-15 Jahren. - Weiss jemand von euch, wie ich unserem Baum noch helfen kann? Ich habe Respekt vor jeder Pflanze, vor jedem Baum, aber dieser Apfelbaum bedeute mir besonders viel. Meine Urgrosseltern haben bereits seine Äpfel geerntet und damit Apfelkuchen gebacken. Meine Grossmutter ist mit ihm aufgewachsen und hat später, mit Äpfeln dann aus ihrem Garten, für meine Mutter auch oft Apfelkuchen gebacken. Apfelkuchen. Ein Traditionsessen in meiner Familie: Apfelkuchen mit Hefeteig und dazu trinken wir heissen Kakao. Ich wünsche mir so sehr, dass mein "Ahnenbaum", der seit zwei Jahren keine Äpfel mehr wachsen lassen kann, eines Tages wieder Kraft und Freude hat und mir ein paar Äpfel schenkt. So gerne würde ich die einmal kosten. Einen in den Händen halten und herzhaft reinbeissen.
Herzliche Grüsse von Iren, die nun im Buch weiter lesen geht.
Liebe Iren
AntwortenLöschenDas kann ich gut nachvollziehen, dass du leidest wegen dem alten Apfelbaum. Uns tut das auch immer weh, wenn wir zusehen müssen, wie Bäume leiden. Manchmal werden stattliche alte Bäume gefällt, nur weil sie zufälligerweise am falschen Ort stehen. Mein Gärtner und Ehemann sagt genau wie du, dass Bäume Lebewesen wie Menschen sind. Ich habe ihn gefragt, wie das ist, wenn ein alter Apfelbaum auf diese Weise geschnitten wird. Er sagt, dass die Schnittstellen auch ohne Versiegeln vernarben können. Der Baum kann das umso besser heilen, je besser sein Allgemeinzustand ist. Apfelbäume können sehr alt werden. Aber ab einem gewissen Alter hören sie auf, Äpfel zu tragen. Ich hoffe sehr, dass sich euer Apfelbaum wieder erholt. Und auch, dass ihr noch lange Freude an ihm haben könnt. Vielleicht trägt er ja doch noch ein paar Jahre Früchte. Ich schicke ihm jedenfalls gute Gedanken.
Ganz liebe Grüsse
Barbara
Liebe Barbara
LöschenVielen Dank für deine Gedanke und Worte! Was du sagst über das Vernarben glaube ich schon, dass er das schaffen kann, doch das Problem scheinen die Pilze zu sein... Die brauchen nicht lange, und dann sind sie im "Baumsystem" drin, vor allem bei so grossen Schnittstellen. Der Schaden wird erst in 10-15 Jahren da sein, denn solange braucht der Pilz bis er im Stammesinnern genug "gewütet" hat.
Ich gebe die Hoffnung natürlich nicht auf, dass es noch zu ein paar feinen Äpfeln reicht...
Liebe Grüsse, Iren
Ich habe jetzt den Duft von Holz in der Nase ....
AntwortenLöschenauch ich liebe Bäume. Auch ich leide mit wenn ich sowas entdecke.
Ja, Bäume sind Lebewesen
Viel Glück für Deinen Apfelbaum. Ich wünsche ihm und euch noch viele Äpfel
liebe Grüsse
Elisabeth
Hab vielen Dank und sei herzlich gegrüsst! Iren
LöschenObstgehölze sind eigentlich sehr wiederstandsfähig. Damit sie reichlich tragen, müssen sie sogar ab und zu geschnitten werden. Hier scheint aber es aber gleich zu viel auf einmal gewesen zu sein.
AntwortenLöschenHab noch etwas Geduld mit Eurem Apfelbaum. Es kann sein, dass er sich erholt. Zur Zeit ist er einfach damit beschäftigt, neues Holz zu bilden, dann reicht die Kraft nicht für Früchte. Blüht er wenigstens im Frühjahr?
Unser Apfelbaum im Garten (Albrechzsapfel) ist an der Rückseite total vom Hallimasch zersetzt und trägt doch noch immer wieder jedes Jahr. Er darf jetzt einfach so lange stehen bleiben, bis er von selbst umfällt.
Liebe Sigrid
AntwortenLöschenDanke für deinen Kommentar! Unser Baum wurde regelrecht verstümmelt. Wie gesagt, als ich ihn das erste Mal sah, hat er viele wunderbare Äpfel gehabt... Klar ist nicht jedes Jahr gleich, doch er hat ja gar keine alten, tragenden Äste mehr.. Alles weg. Nun hat er ganz viele Wassertriebe produziert, weil sein Wurzelwerk ja stark ausgeprägt ist und er nun nicht weiss, wohin mit seiner Kraft. Geblüht hat er schon seit zwei Jahren praktisch nicht mehr und die meisten Blätter waren auch nicht schön ausgebildet. Er leidet stark, das kann jeder Laie von Weitem erkennen. Ich schneide ihm nun jedes Jahr eine gewisse Anzahl Wassertriebe (natürlich nur die senkrechten oder die, welche nach Innen wachsen) ab, damit wieder potenziell tragende Äste genug Kraft bekommen können. Zu viel aufs Mal darf man ja nicht schneiden, weil der Baum die Kraft der Wurzeln ja nach oben bringen können muss. Ich bin gespannt, wie es ihm diesen Frühling geht.
Ich geben unserem Baum so viel Zeit, wie er braucht und ich würde nie eine Entscheidung fällen, die mir nicht zusteht. "So lange stehen bleiben bis er von selbst umfällt", das finde ich auch schön und richtig. Der Baum ist ein Lebewesen und er darf seine Lebenszeit auskosten, da mische ich mich nicht ein. Was weiss ich schon?!
Herzliche Grüsse
Iren
Hi Iren . Kannst du von deinem apfelbaum nicht reiser schneiden und sie dann auf eine neue unterlage setzten lassen . Hab mal irgendwo gelesen das das machbar ist . Frag doch mal bei einem obstbauern oder einer baumschule nach . Dann hättest du auf jeden fall ein neuer Baum vom Familienbaum . Zumal so ein alter Baum auch schnell mal bricht bei einem sturm besonders wenn er Pilze in sich hat .
AntwortenLöschenJa, genau, das habe ich auch im Sinn... Liebe Grüsse; Iren
Löschenhallo iren, das schicksal deines baumes berührt mich. so eine freveltat!
AntwortenLöschenum fruchtholz zu erziehen, soll mensch äste waagerecht binden, habe ich gelernt, denn nur waagerechte äste bilden blüten- und damit fruchtknospen, die andern bilden blattknospen. wie das geht, steht sicher in (d)einem fachbuch, ansonsten kann ich dieses empfehlen: h.w.riess, obstbaumschnitt in bildern. obst- und gartenbauverlag münchen. isbn 978-3-87596-045-7.
um den baum gegen pilze zu rüsten würde ich die baumscheibe pflegen (den bodenbereich um den stamm) mit calendula und kapuzinerkressenpflanzung sowie ein aufgelöstes homöopathischen mittel giessen oder ein allgemein pflanzenstärkendes mittel auf homöopathischer basis (gibts durchaus auch im fachhhandel).
ich wünsche dir, daß er sich erholt und noch viele jahre durchhält!
äh, "... im baumarkt" sollte das letzte heißen.
AntwortenLöschenLiebe Frau Siebensachen
AntwortenLöschenVielen Dank für deinen Hinweis, dem werde ich auf jeden Fall nach gehen und das machen!
Ich habe gelesen, dass zum Beispiel "Dünger", oder Brennesseljauche etc. welche das Wachstum fördern gar nicht gut ist, weil der Baum mit seinen Kräften mit der Pilzbekämpfung beschäftigt ist und man ihn nicht ins Wachstum "pushen" soll. Da es bei uns sehr trocken ist, werde ich ihn diesen Sommer zwischendurch mit extra Wasser versorgen, damit er wenigstens da keine Probleme hat. Mal schauen. Auf jeden Fall vielen Dank für deine hilfreiche Antwort!
Liebe Grüsse, Iren
Liebe Iren,
AntwortenLöschendein Text über deinen Apfelbaum ist nun schon einige Zeit her.
vielleicht hast du ja auch schon eine Lösung gefunden...
Mir fiel ein, dass du eventuell mit einigen jungen Zweigen deines Baumes die Baumschule deines Vertrauens aufsuchst und bittest, ob man ihn vielleicht durch veredeln erhalten kann.
Dabei wird das Reis, das du bringst, auf einen jungen Baumstamm der gleichen Obstsorte gebracht.
Es gibt verschiedene Verfahren (Rinde einschneiden und ein "Auge" einsetzen, Reis und Stamm gleich schräg schneiden und wie ein Puzzle zusammen setzen...).
Die Verbindungsstelle wird dann mit Bast und Wachs gesichert, der Baum wieder eingepflanzt - und meistens wächst das Reis an.
Vielleicht konnte der Baum sich ja auch bei deiner guten Pflege erholen?!
Viele liebe Grüße,
Vielen herzlichen Dank auch für deine Gedanken.
LöschenLetzten Herbst hat er wieder 3-4 Äpfel gehabt.
Die Hoffnung wächst... :))