Freitag, 1. Juni 2012

Zum Muttertag - Teil 2

"Test ermöglicht risikofreie Diagnose von Down Syndrom" - so lautete der Titel eines Zeitungsartikels, der genau zum Muttertag erschienen ist. Ich sass im Auto auf dem Beifahrersitz und wir fuhren zu meinen Eltern zum fröhlichen Muttertag-Kuchen-Essen, als ich das Blatt aufschlug. Passender könnte der Zeitpunkt des Artikels nicht sein... Das Muttersein beginnt mit sehr wichtigen Fragen und Entscheidungen: Wie viele pränatale Tests lasse ich machen? Wie weit kann ich mich auf dem Glatteis bewegen? Wie stehe ich zum Leben? Wie muss mein Kind sein, damit ich es annehmen kann? Habe ich Bedingungen? Wie steht mein Partner dazu?

Ich las den Artikel interessiert durch und bemerkte am Ende, dass er mich überhaupt nicht betrifft. Diese Tests haben nichts mit mir oder Calista zu tun. Wir wussten, welchen Weg wir gehen wollten und beschritten ihn, ohne je eine Sekunde reuig zu sein.
Als ich aber das erste Mal von diesem risikofreien, sicheren Bluttest hörte, da lag Calista unberührt und unschuldig in meinen Armen, da traf mich diese Neuigkeit mitten ins Herz. Jetzt wird noch weiter geforscht und Geld investiert, um diese liebevollen Menschen aufzuspüren und abzutreiben? Ich nahm es persönlich, ich nahm es gegen mich, gegen mein Kind, gegen meine süße Calista, die mir inniges Mutterglück schenkte. Es hinterließ in mir dieses schmerzende Gefühl, dass die Gesellschaft mein Kind nicht haben will, dass es nicht leben sollte.
Meine Haltung hat sich inzwischen verändert. Ich habe Distanz bekommen und lasse nicht nur andere Meinungen gelten, ich kann auch ihre Argumente verstehen. Jeder ist in erster Linie nur sich selbst Rechenschaft schuldig. Wenn man seine Werte und Haltung dazu gut definiert hat und diese richtig vertreten kann, so ist es das beste Rezept für's eigene Glück. Wie auch immer das aussehen mag. 

Smilla
Calista's Freundin

Dieses "risikofreie" am Test ist nur auf die mögliche Fehlgeburt bezogen. Wertefrei betrachtet ist er vor allem eine risikofreie Informationsbeschaffung. Wie sich die Eltern dann entscheiden, ist wieder ein anderes Kapitel im selben Buch. - Die Statistik zeigt aber, dass etwa 95% der Eltern mit der Diagnose Down Syndrom sich gegen das Baby entscheiden. Viele trauen sich diese Aufgabe nicht zu. Und ich frage mich: Auf welcher Grundlage konnten sich diese Eltern entscheiden, wie viele Informationen bekamen sie und woher?

Es geht nicht um den Test an und für sich, er bringt tatsächlich eine Verbesserung, denn er hilft, Fehlgeburten zu vermeiden. Entscheidend ist, was gleich danach geschieht. Wer bietet diesen Eltern, die plötzlich in Not geraten sind, hilfreich die Hand? Wer will sich mit ihnen auf dieses Glatteis wagen? Wie können sich diese Eltern ein Bild ihrer potentiellen Zukunft machen? Dort ist meiner Meinung nach die grosse Schwachstelle.

Es gibt Menschen, für die es von Anfang an ganz klar ist, dass sie - aus welchen Gründen auch immer - kein Kind mit Down Syndrom haben wollen oder können. Für diese Eltern ist der Bluttest einen Segen. Dass es keine Garantie für andere Behinderungen ist, das weiss man, doch es ist der Versuch, nichts zu verpassen und sich später keine Vorwürfe machen zu müssen.

Dann gibt es Menschen, für die es von Anfang an ganz klar ist, dass sie ein Kind mit Down Syndrom behalten werden. Diese Menschen werden einen solchen Test nicht brauchen, es sei denn, dass sie darauf vorbereitet sein wollen.



Smilla mit ihrer glücklichen Mama


Und dann gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich im Graubereich bewegt. Menschen, die sich der ganzen Sache nicht so sicher sind, die sich vielleicht noch zu wenig konkrete Gedanken dazu gemacht haben, die vielleicht einen Partner haben der unsicher ist etc. Für diese Menschen kann ein solcher Test einen Segen sein, genauso aber auch einen Fluch, wenn er "positiv" ist. Plötzlich kommt man in einen Strudel ärztlicher Ratschläge kombiniert mit den Gefühlen von Trauer, Angst und Unsicherheit... Von himmelhochjauchzend über eine neue Schwangerschaft fällt man runter auf zutodebetrübt über die Diagnose. Man erhält seitens des Arztes eine nicht-enden-wollende-Liste aller möglichen Risiken und Zusatzbehinderungen aufgezählt und den Rat, das Kind abzutreiben. Darob verliert man leicht den Mut, sich dennoch für ein solches Kind zu entscheiden. Der Arzt selbst unternimmt alles, um sich gegen spätere Anschuldigungen abzusichern. Er will nicht vor's Gericht gezogen werden von Eltern, die ihm mangelnde Aufklärung vorwerfen. Er macht seinen Job. Für mich ist das aber nur eine Seite der Informationen und Meinung, die man als werdende Eltern in dieser Situation dringend braucht. Nebst all den medizinischen Risiken, die vielleicht auftreten könnten, sollten die Eltern auch die Möglichkeit haben, sich eine positive Vorstellung machen zu können, wie das Leben konkret aussehen kann mit einem "extra-chromosomigen" Kind. Wie viele haben Bilder von früher im Kopf, die meistens eher abschreckend wirken? Da braucht es Aufklärung, Vorbilder und leicht zugängliche Informationsquellen. - Genau deshalb habe ich angefangen, meinen Blog zu schreiben. Das ist mein Beitrag zu diesem Thema.

Wenn werdende Eltern die Diagnose Down Syndrom bekommen, verändert sich ihr Leben für immer, egal wie sie sich entscheiden. Es gibt kein Ungeschehenmachen. Und ich habe, nach über zwei Jahren Zusammenleben mit Calista, die Überzeugung, dass es sich genau entgegengesetzt verhält: Wer sich für Down Syndrom entschieden hat, der hat in der ersten Zeit, vor allem im ersten Jahr, Gefühle der Trauer, der Angst, des Schmerzes und des Ausgeschlossenfühlens zu verarbeiten. (In "viele Stimmen" habe ich darüber schon geschrieben.) Es wird aber immer leichter und die Freude, die diese Kinder jeden Tag schenken, versöhnen einen rasch mit seinem neuen Leben. Und ich bin überzeugt, dass es auf's Leben hinaus gesehen noch unbeschwerter wird, wenn diese Kinder dann auch in ihre, für sie mögliche, Selbstständigkeit gehen, in einer Werkstätte oder sonst wo Arbeit finden und nicht mehr zu Hause leben. Sie sind keine Pflegefälle und ihre Entwicklung läuft meistens nach den gleichen Grundsätzen ab wie bei allen Kindern. Jenen aber, die sich gegen Down Syndrom entschieden haben, fällt anfangs vielleicht ein großer Stein vom Herzen. Sie fühlen sich entlastet und schauen mutig vorwärts. Ich kann mir aber vorstellen, dass es einige gibt, die es doch nicht mehr los lässt. Dass es tief in ihnen nagt und dass es mit den Jahren, wo es jenen Eltern mit Down Syndrom leichter wird, den anderen eher schwerer werden kann. Es soll nun nicht moralisierend daher kommen, was ich schreibe. Ich weiss, dass es schwierige Familienkonstellationen gibt, in der ein Kind mit Behinderung keinen guten Platz findet. Es ist gut, dass man sich heute bewusst für oder gegen etwas entscheiden kann. Keinem Kinde ist es gedient, wenn es so, wie es ist, nicht willkommen ist und dies täglich auf irgend eine Weise zu spüren bekommt.

Für mich persönlich geht es um die Gruppe im Graubereich. Ich finde es wichtig, dass es viele verschiedene Informationsquellen gibt, dass man auf einer guten, ausgeglichenen Grundlage diese lebenswichtige Entscheidung treffen kann. Und ich sehe es als die Aufgabe aller Eltern mit einem Kind mit Down Syndrom, dass sie mit ihren Kindern "raus" gehen in die Welt, sie öffentlich lieb haben, stolz auf sie sind und zeigen, wie freudvoll es sich mit ihnen leben lässt.


Ich grüsse Euch mit den Worten von Cosima: Mama, ich möchte auch gerne ein bisschen Down Syndrom haben... 


Iren x.


Wer sich weiter in die Thematik einlesen möchte, empfehle ich folgende Links: Gemeinsame Erklärung zum Welt-Down-Syndrom-Tag 2012, Stellungsnahme des Deutschen Down-Syndrom InfoCenter.

15 Kommentare:

  1. Danke, für den Post, du sprichst mir aus der Seele. Für mich wäre dieser Bluttest toll gewesen, wir hätten nicht mit der Angst um eine Fehlgeburt leben müssen, als wir die FU gemacht haben. Entschieden haben wir uns für unsere Sontje, als wir uns für ein weiteres Kind entschieden haben. Ich wollte nie irgendwelche Pränataldiagnostik, aber leider kann auch eine aufgeklärte Mutter zu schnell darein geraten, bei uns war es die auffällige Nackenfalte, bei jemand anderen ist es vielleicht der kurze Femur oder oder oder...Du hast es mit deinem Post ganz genau erfaßt, und auch ich schreibe unserem Blog, damit die Menschen sehen und aufgeklärt werden.

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  2. Danke, du hast das alles sehr treffend beschrieben. Als ich mit Luca schwanger war, entschieden wir uns gegen den damals "üblichen" Triple-Bluttest. In der Praxis meiner Ärztin sagte man mir vorwurfsvoll: "Ja, es gibt halt auch Mütter, denen ist es egal wenn sie ein behindertes Kind haben."... Das war schlimm.Heute sind wir glücklich, uns für Luca entschieden zu haben und ich bin überzeugt, die Welt ist um einiges farbiger mit Calista, Smilla, Sontje, Luca und all den anderen wunderbaren Menschen mit dem kleinen Extra.

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    1. Ja, diese Menschen sind zwar nicht IMMER Sonnenscheine, wie man es ihnen andichtet, aber sie bringen trotzdem immer viel Freude und Leichtigkeit in ihre zwischenmenschlichen Begegnungen und Beziehungen. Mir werden immer wieder kleine Geschichte und Begebenheiten zu getragen, die Leute mit DS-Menschen erlebt haben. Es waren immer schöne Momente, an die sie sich lächelnd zurück erinnern...

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    2. Ich werde immer sehr traurig, wenn ich darüber nachdenke, wie wenige Menschen mit dem Down-Syndrom inzwischen nur noch zur Welt kommen. Sie sind in der Lage die Welt mit anderen, Augen zu sehen und diese Sichtweise ist bereichernd, ermutigend. Wir sind darauf angewiesen, dass uns jemand an dieser Sichtweise teilhaben lässt.

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    3. Ja, wir brauchen sie!
      Alleine die Tatsache, dass es schon immer und überall auf der Welt Menschen mit DS gab, zeigt, dass sie einen natürlichen Bestandteil unserer Gesellschaft sind und schon immer waren. Ich bin einerseits auch traurig, doch die Kinder, die heute mit DS geboren werden, haben es dafür meistens viel, viel besser und leben dank der fortgeschrittenen Medizin auch länger. Früher hat man sie ja aus Scham oft versteckt, das nützte der Gesellschaft auch nichts... Und Calista wäre wegen ihres Herzfehlers schon nicht mehr da, wenn sie vor über zwanzig Jahren zur Welt gekommen wäre...

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  3. Genau mit dem Thema hab ich mich gestern Abend beschäftigt :)
    Ich hab dich in meinem Post verlinkt. Ich hoffe, das ist ok für dich?
    Alles Liebe. maria

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    1. Liebe Maria - hab vielen Dank und klar bin ich einverstanden!!

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  4. Wirklich ein toller Post. Dieses Thema beschäftigt mich häufig und ich bin froh, gibt es Blogs wie deinen, den ich nur weiter empfehlen kann! Ganz ganz liebi grüäss, anja

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  5. Das ist wirklich ein großartiger Post, liebe Iren.
    Bei meinen letzten Kindern (Zwillingen) habe ich mich für eine Fruchtwasseruntersuchung entschieden - ich weiss wirklich nicht wie ich endgültig bei einem gravierenden Befund (da meine ich nicht unbedingt das Down-Syndrim damit)der Zwilllinge entschieden hätte.
    In unserer nahen Verwandschaft haben wir einen wunderbaren Down-Jungen-Mann....ich habe ihn aufwachsen sehen und mag seine besondere Art so sehr. Durch ihn habe ich viele Menschen mit diesem Handycap kennen gelernt und muss immer wieder feststellen wie liebenswert sie im Gegensatz vieler unserer anderen Zeitgenossen sind.
    HG
    Birgit

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  6. Liebe Akaleia
    Vom Typ her bin ich jemanden, der sich gerne den Herausforderungen des Lebens stellt. Aber ehrlich gesagt kann ich jetzt und heute auch nicht mit Gewissheit sagen, wie ich mich bei einem gravierenden Befund entscheiden würde, wäre ich mit einem vierten Kinde schwanger. Da ist aber Down Syndrom für mich schon fast keine Behinderung ;-)), auch ein weiteres DS-Kind würde ich behalten, das weiss ich schon heute mit Gewissheit.
    Solche Entscheide hängen aber auch von der ganzen Familienkonstellation ab. Es nützt niemanden etwas, wenn man als Paar und als Familie in die permanente Überforderung kommt und daran zerbricht. Zu diesem Thema gehört für mich übrigens auch ganz allgemein die Anzahl der Kinder. Ich bin überzeugt, das jede Familie seine eigne Zahl der Kinder hat, die für sie gut ist. Bei den einen ist es eins, bei anderen sechs oder mehr. Nicht ist für alle gültig und gut. Bei uns habe ich das Gefühl, dass drei die richtige Zahl ist. (Dies mit Wehmut, denn in meinem Herzen hätten noch ganz viele Kinder Platz...)

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  7. Genau das ist es, Iren -- Es gibt viel zu wenige Infos darüber, wie das Leben mit einem Kind mit DS aussehen könnte. Deswegen sollten alle Eltern, die mit dieser Thematik konfrontiert werden, Deinen Blog lesen können! Calista ist auf eine so schöne und unverkrampfte Art ein ganz natürlicher Teil Eurer Familie und Ihr straht so viel ansteckende Lebensfreude aus. Ich möchte überhaupt nichts gegen die Blogs sagen, in denen es "nur" oder vor allem um das DS-Kind geht, aber dass dies bei Deinem nicht so ist, ist genau der Punkt, den ich so schätze. Es geht nicht nur um Calista, sondern auch um alle anderen Familienmitglieder; es geht nicht nur um das DS, sondern auch um ganz viele andere Themen, um Familienleben einfach, ob mit oder ohne DS. So natürlich und unverkrampft liesse sich das DS integrieren... ich bewundere Dich sehr. Ein herzlicher Gruss! Marianne

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  8. Danke für diesen so achtsam formulierten Post und die schönen Bilder.
    Für mich immer und weiter ein Thema.
    Wir schrieben uns darüber, deswegen will ich es mit einem herzlichen Gruß an Dich belassen.

    Oona

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  9. Hallo Iren,
    ich habe am Sonntag die Input Sendung auf SRF 3 gehört und fand sie mega schön, so voller Herz. Ich habe also schnell auf deinem Blog vorbeigeschaut und bin gefesselt. Ich lese jetzt ein bisschen in den älteren Posts, und die neuen, und kann nicht genug kriegen, von den Erzählungen und von den wunderschönen Bilder die so gut die Gefühle und Emotionen, die Du mit uns Lesern teilst, unterstreichen. Ich bin zwar erst 22 und denke noch nicht an Familiengründung oder Mutterschaft nach, aber ich lese gerne darüber. Ich denke, weil ich Kinder so sehr mag :).
    Ich kommentiere gerade diesen Post weil ich vor kurzem das Buch "The memory keeper's daughter" von Kim Edwards gelesen habe, in dem es auch um die Entscheidung für oder gegen ein DS-Kind geht. Ich fand es sehr schön...
    Ich wollte noch sagen, dass ich in Italien aufgewachsen bin und dort Kinder mit DS mit allen anderen Kindern in der gleichen Klasse zur Schule gehen (ich denke es ist auch eine Frage der Kosten, da sich nicht jede Stadt eine Sonderschule leisten kann). Sie haben dann einen Lehrer der sich nur um sie kümmert und für sie da ist. Im kleinen Dorf, das unser Zuhause war, gab es nicht viele DS Kinder. Mein Bruder hatte aber das Glück, und nicht nur er, sondern die ganze Klasse empfand es als solches, einen Jungen mit DS in der Klasse zu haben, Carmelo. Alle Kinder aus dem ganzen Schulhaus haben ihn geliebt, für seine offene Art, für seine breites Grinsen und seinen Sinn für Humor, immer für ein Spässchen zu haben. Auch jetzt, da er ein selbstständiger junger Mann geworden ist, ist immer eine Freude ihm auf der Strasse zu begegnen, die herzliche Begrüssung und das Strahlen in seinen Augen, einfach wunderschön!

    Danke, für diesen schönen Blog!
    Ich wünsche euch einen guten Start ins 2013,
    liebe Grüsse, Giulia

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