Dienstag, 18. Oktober 2011

Entspannung

Meine Hände greifen immer wieder in den Sand und lassen die Körner durch die Finger gleiten. Ich streiche über die Sandfläche hin und her und schaue, ob sich was finden lässt. Etwas Schönes, etwas, das meine Aufmerksamkeit weckt. Da - eine kleine Muschel einer Wasserschnecke. Wintzig klein, aber wunderschön und vollkommen.  Wäre ich darüber spaziert, hätte ich sie übersehen. Auch beim Hinsetzen und schnellen Darüberblicken wäre sie mir entgangen. Aber meine Hände haben sie freigestrichen - hin und her. Und da haben meine Augen sie erspäht. Motiviert mache ich weiter und warte auf ein kleines Fundstück, das mir der grosse, weite Sandstrand freigibt. Zur Erholung blicke ich zwischendurch auf den Horizont, wo das Meer und der Himmel sich berühren. Das Lybische Meer und der Kretische Himmel.



Entspannung ist gekommen und ich habe Zeit, die Hände durch den Sand zu streichen. Unsere Ferien haben nicht sonderlich entspannt begonnen. Nein, wir haben es uns wirklich anders vorgestellt. Das meinte Cosima schon sehr früh: Mama, das habe ich mir nicht so vorgestellt. So ist es ja meistens. Man freut sich und malt sich die Ferien schon aus. Aber die Bilder stimmen dann nicht mit der Realität überrein und in den ersten Tagen ist Korrektur angesagt. Doch in der Regel ist die Korrektur nicht schlechter, einfach anders. Wir mussten auch korrigieren und anpassen, aber jetzt ist die erste Woche um und wir sind endlich vollkommen entspannt. 



Wir sind von der Schweiz abgereist mit einer Calista, die leicht fieberte. Und angekommen in den Regen des kretischen Herbstes. Bei laufenden Scheibenwischern hat Christian dann feststellen müssen, dass das Mietauto sozusagen kaputt ist. Diverse Zeichen blinkten auf und der Motor war schwach, teilweise gar tuckernd. Umkehren und austauschen? Wir haben noch 2h Fahrt vor uns, es ist bereits spät und dunkel. Wir kehren um, in diesem Zustand wollten wir nicht irgendwo stecken bleiben. 





Nach fünf Minuten aber sagte ich: Stopp. Wir tauschen das Auto heute nicht mehr um. Wie beim "Leiterlispiel" wieder zurück zum Start? Ich hatte keine Kraft mehr für den ganzen Weg wieder zurück zum Flughafen, dort mit den Angestellten dort zu diskutieren, auf ein neues Auto zu warten, alles um zu packen und die Reise wieder von vorne anzutreten. Ich bestand darauf, erneut umzukehren und die Reise so, wie das Auto eben ist, fortzusetzen. Mit allem Risiko. Ich war erschöpft und wollte nur noch ans Ziel kommen. Ich bekam einen Tunnelblick und blendete alles aus, was von links und rechts hätte kommen können. 
Wir kamen ans Ziel, mit demselben Auto. Und die Taverne war noch offen. Sehr offen sogar, es gab keinen warmen Innenraum. So sassen wir mit einer fiebernden Calista, die im Kinderwagen warm eingepackt schlief und mit dicken Jacken an unseren Tischen und ringsum war es nass und kalt und dunkel. Das war die erste Korrektur.

Mit dem kommenden Morgen kam der blaue Himmel und die Hoffnung wieder auf entspannte, warme Ferien am Meer. Calista fieberte immer noch, aber nie fest. Sie war weinerlich, schlief viel und wollte nichts essen. Nur trinken, bei Mama. Ich war froh, noch nicht ganz abgestillt zu haben. Ein paar Stunden vergingen, die Mädchen machten ihre ersten Entdeckungstouren und Kinderbekanntschaften.


Unser Himmel blieb aber nicht blau. Noch nicht richtig angekommen, das Auto noch nicht in ein neues eingetauscht, mussten wir uns halsüberkopf wieder in die Klapperkiste setzen und in den nächsten Spital fahren. Wieder die kretischen Schlängelstrassen durch das Gebirge nehmen, die Schlucht passieren und durch verschlafene Dörfer an einsame Tavernen vorbei fahren. Wir mussten mit Calista in die nächste Stadt ins Spital fahren. Mir kamen all die Schauergeschichten wieder in den Sinn, die mir griechische Freundinnen aus den Spitälern Athens zugetragen haben. Oh nein, bitte nicht! Aber es blieb uns nichts anderes übrig, denn die Angst hat nun überhand genommen.

Calista war nicht erkältet, hatte aber alle paar Stunden mal einen grossen Krampf, weinte heftig und nach ca. 1 Minute war alles wieder vorbei und sie schlief weiter. Spielen oder einmal ein Lächeln lag nicht mehr drin. Das ist immer ein schlechtes Zeichen. Zudem ist das Fieber dann innert einer Stunde auf 39.4° angestiegen. Und sie erbrach sich. Nun war meine Ruhe weg. Wir konsultierten sofort den Arzt, der im Hotel einmal pro Tag Sprechstunde hielt und als der hörte, dass sie eine Endokarditisprofilaxe hat, schickte er uns umgehend ins Spital. Er bestand auf eine Blutentnahme, damit Gewissheit da ist. Ein bakterieller Infekt müsste sofort mit Antibiotika behandelt werden, damit er nicht auf ihr kleines, vernarbtes Herzchen übergehen kann... Und Calistas Zustand verschlechterte sich, sie war sehr schwach, schlapp und weinte, wenn sie nicht gerade schlief.


Der Spital war einem griechischen Drama gleich. Eine schwarz gekleidete Menschenmenge trauerte kollektiv vor den Pforten und liess uns schon einmal leer schlucken. Drinnen auf den Gängen sassen die Kreter und Kreterinnen auf den abgenutzten Stühlen mit markanten, gezeichneten Gesichtern eines Lebens, das einen nichts schenkt. Der junge Herr hinter den Glasscheiben schien sich seiner Tätigkeit nicht sehr sicher zu sein und der halb leere, unstrukturierte Büroraum hinter ihm bot uns auch nicht die Professionalität, die wir uns gewünscht hätten. Daneben war die wartende Großmutter im schwarzen Kleid und weissen, hochgesteckten Haaren, grossen Händen und einem gesteckten Infusionsanschluss im Arm, begleitet von ihrem Sohn. Sie lächelte Calista liebevoll zu. Die blondierte Dame mittleren Alters, mit ergrautem Haaransatz und diversen Goldringen an den Fingern, läuft  etwas hilflos mit einer gesteckten Infusion in der Hand herum. Ein junger Herr, der mit schmerzverzerrtem Gesicht und halb aufgerichtet ins Behandlungszimmer humpelte. An seiner Hand eine rissige, eiternde Wunde. Es kommt ein junge Familie mit einem kleinen Mädchen, das im pinken Barbie-Trainingsnazug und glitzernden Turnschuhen auf den Armen des Papa herein getragen wurde. Aus dem Nebenraum drangen Schreie. Grosse fragende Augen unserer Mädchen... 


Wir waren aber erstaunt, dass der Schein trügte. Trotz des schäbigen Zustandes des ganzen Spitals und den Gestalten, die uns ganz beklommen machten, wurde Calista rasch und gewissenhaft untersucht. Freundliche Krankenschwestern und Ärztinnen schauten sich Calista ganz genau an und schlossen die schlimmsten Sachen aus, wie etwa Hirnhautentzündung, Blinddarm oder was auch immer. Gekonnt und unkompliziert haben sie Calista in den Arm gestochen und Blut genommen. Nach zwei Stunden war dann das Resultat da: Viraler Infekt. Mandeln etwas entzündet. Mehr konnten sie aber nicht sagen. Die Reaktionen deutete auch auf eine Magen-Darm-Geschichte hin. Wir waren beruhigt. Sie brauchte kein Antibiotika, andere gefährliche Erkrankungen waren nun auch ausgeschlossen und wir konnten wieder den Heimweg antreten.


Der folgende Tag war noch schwierig. Calista bekam immer wieder heftige Bauchkrämpfe und krümmte sich vor Schmerzen. Erbrechen oder Durchfall brachte ihr dann Erleichterung. Sie weinte viel, sie schlief viel und beruhigte sich an der Brust. Das war gut, so kam es wenigstens nicht zu einer Dehydrierung. Calista schlief bei sonnigem Wetter und Meeresrauschen abwechslungsweise bei mir oder Christian auf dem Bauch. Wir haben es uns so nicht vorgestellt, unseren Urlaub. Aber die Unruhe war wenigstens weg. Calista durfte Zeit haben, selbst wieder gesund zu werden. 



Am Freitag dann, späteren Nachmittag, war sie plötzlich über dem Berg. Von einer Minute auf die andere ging es ihr wieder merklich besser, eigentlich sogar gut. Als wären die Viren weggeblasen worden. Sie lächelte mich an und war nun bereit, ihre Ferien am Strand zu beginnen. - Willkommen in Kreta, liebe Calista!




Ich lasse nun meine Hände noch ein paar Tage entspannt durch den Sand gleiten und melde mich wieder nächste Woche, wenn wir zurück sind.


Es grüßt euch herzlich,
iren x.



5 Kommentare:

  1. Hallo Iren und Familie

    Seit dem wir eltern Bericht und dem Hinweis zum Blog bin ich eine treue Leserin Deiner wundervoll geschriebenen Zeilen und ich bestaune jedes Mal Deine herrlich stimmungsvollen Fotos! Danke das Du das Alles mit uns teilst!

    Geniesst die Sonne in Griechenland und bleibt alle gesund!
    Herbstliche Grüsse
    Trix

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  2. Da kommen Erinnerungen hoch, aber kein schönen. Mein Sohn hat auch einen Herzfehler und was habe ich immer für Ängste ausgestanden als er krank war. Heute ist er gross und zum Glück nicht mehr oft krank.
    Ich wünsche dir, dass die RestUrlaubstage für schöne Erinnerungen sorgen, Allerleirauh

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  3. Ich freue mich immer, wenn ich wireltern Leser hier auf meinem Blog begegne. Schliesslich war das aller Anfang...
    Wir konnten die Ferien geniessen und die Erinnerungen sind auch sehr schön. Der Spitalaufenthalt hat mein schlimmes Bild von griechischen Spitälern positiv revidiert... Am gesund bleiben arbeiten wir noch...Calista ist noch kränkelnd, aber bald ist sie auch wieder fit. Es war das 1. Mal (!) in ihrem kleinen Leben, dass sie wirklich krank war - abgesehen vom Herzen natürlich. Aber ja, man hat schneller und mehr Angst, mit diesen Kindchen, die ein krankes/operiertes Herzchen haben. Aber das gehört halt dazu. love, iren

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  4. Carissima iren
    hab soeben deinen Blog gefunden - gut gefunden - sehr interessant & schön gefunden!!!! ob wir diese "erwsten kinderbekanntschaften" sind??? ja. du hast recht. erinnerungen sind das schönste an den ferien. auch wenn sie leider sehr schnell verblassen, respektive vom trubel des alltäglichen wahnsinns in den hintergrund rücken. herzlicher gruss. martina arpagaus, die "ferienbekanntschaft".. bis bald!

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  5. liebe martina - wie schön dich hier zu lesen: willkommen auf meinem blog!
    ich hoffe, wir werden uns bald wieder sehen (die kinder haben schon danach gefragt), ein kärtchen kommt heute auf die post...
    herzliche grüsse an euch alle - unsere super ferienbekanntschaft :-))

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