Freitag, 25. Januar 2013

Cosima

Vor einer Woche, da bastelte Cosima aus den Resten von Calista's Geburtstag: Sie nahm einen weißen Pappteller, klebte mit dem doppelseitigem Klebband ein großes, breites Kreuz in den Teller hinein und nahm viel zarten, weißlich-regenbogenfarbig-schillernd-schimmernden Glitzer und streute es darüber. Es entstand ein sehr schönes, strahlendes Kreuz. Sie schaute es stolz und freudig an und sagte: Das schenke ich meiner Religionslehrerin.

Ich war sehr erstaunt und frage nach: Das willst du wirklich deiner Religionslehrerin schenken?! - Ja! Weihnachten ist zwar vorbei, aber ich schenke es ihr einfach so. Ich sagte nicht mehr viel, blieb aber ziemlich verwundert. Cosima hat seit vergangenem Sommer eine neue Religionslehrerin, so in meinem Alter etwa, bekommen. Die erste Stunde bei ihr war ein großer Schock und Cosima kam weinend und aufgelöst nach Hause. Wir haben sofort das Gespräch gesucht und die Lehrerin hat sich dann bemüht und es wurde etwas besser. Die Stimmung war nicht besonders warmherzig oder gut, aber es war okay und Cosima kam nie mehr weinend nach Hause. Sie hat gelernt, diese Person zu nehmen wie sie ist und hat sich arrangiert. Um so mehr war ich verwundert, dass sie ihr nun ein Geschenk machen will. Einfach so.

Vor zwei Tagen bekamen wir einen Telefonanruf von der zuständigen Kirche, dass die Religionslehrerin ganz unerwartet am vergangenen Samstag verstorben ist. Schwächeanfall. Mir stockte kurz der Atem und ich dachte gleich an das Kreuz, das Cosima ihr eben geschenkt hat. Zufall? Nein. Genau das ist typisch Cosima. Cosima schenkte ihrer Lehrerin, die nichts ahnend kurz vor dem Tod stand, ein strahlendes Kreuz. Diese hat sich sehr darüber gefreut. Sie haben es gemeinsam angeschaut und darüber gesprochen. Die beiden hatten einen guten Moment miteinander erlebt und es hatte etwas Friedenstiftendes. Ihre gemeinsame Geschichte, die wild begonnen hat, kam zu einem guten Abschluss. Und dann ist sie gegangen, aus dem Leben. Mich hat das irgendwie sehr betroffen gemacht, aber auch froh.

Es ist typisch Cosima, weil ich bei ihr immer wieder erlebe, wie sie etwas voraus ahnt. Sie hat ihre Antennen immer weit draußen und nimmt viel auf. Ich habe ihr diese Nachricht dann so übermittelt: Cosima, du hast doch deiner Religionslehrerin letzte Woche ein Kreuz geschenkt, du hast wieder einmal etwas voraus geahnt. Sie ist drei Tage später gestorben. Sie schaute mich mit großen Augen an und sagte: Aber Mami, das habe ich doch nicht gewusst, das habe ich nicht extra gemacht. - Ich darauf: Dein Kopf hat es nicht gewusst, aber Dein Bauch. Du spürst solche Sachen.




Ich spreche so mit ihr, weil es mir wichtig ist. Möge sie sich besser kennen lernen. Weil Cosima sehr viel aufnimmt und ihre Sensoren immer auf Empfang sind, hat sie öfters Mühe, sich auf etwas zu konzentrieren. Ihre Aufmerksamkeit ist oft überall gleichzeitig, ohne dass sie sich dessen bewusst ist. Hingegen hört sie viel, dass sie sich besser konzentrieren müsse, meistens wird sie nur auf die andere Seite der Medaille aufmerksam gemacht. Aber es gibt immer zwei Seiten. Genau dort, wo eine Schwäche ist, ist auch eine Stärke. Und genau dort, wo eine Stärke ist, ist auch eine Schwäche. Das zweitere ist meistens leiser, aber nicht minder kraftvoll. Ein Kind, dass sich problemlos abgrenzen und sich auf etwas gut fokussieren kann, hat eher Mühe, die feineren Schwingungen seines Umfelds gut wahrzunehmen. Und ein Kind, dass sein Umfeld sehr fein wahr nimmt und viel aufsaugt, hat mehr Mühe, für sich Konzentration aufzubauen. Deshalb ist es mir wichtig, dass Cosima auch ihre Stärken kennen lernt, dass sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst wird. Ich möchte, dass sie so, wie sie ist, sich annehmen, schätzen und lieben kann. Das ist meine Aufgabe als Mutter.

Ich grüße Euch herzlich, iren 

Und füge Cosima's Worte an: Mama, ich bin ja froh, dass ich sie als Lehrerin nicht mehr habe, aber weisst du... sterben hätte sie nicht sollen.

16 Kommentare:

  1. <3 Wie berührend!
    Cosima ist ein tolles sensibles Mädchen und du eine tolle warmherzige Mutter. Danke, für das immer wieder Zeigen der anderen Seite...
    Ganz liebi grüäss, anja

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    1. Danke Dir, liebe Anja! Hoffe, es geht Dir besser und du kannst dich am Wochenende nochmals richtig stärken. Cosima freut sich, dich nächste Woche wieder zu sehen.
      Liebe Grüsse, iren

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  2. Liebe Iren, seit längerem lese ich hier still mit und erfreue mich daran, mit welcher Achtsamkeit und Sensibilität du/ihr miteinander umgeht.

    Dieser Post hat etwas in mir angerührt- und ich weiss gar nicht, wie ich es schreiben soll, was meine Gedanken dazu sind. Ich möchte auf keinen Fall, dass das "schräg" ankommt, so, als ob ich mir eine Urteil erlauben wollte und könnte über das wie du mit Cosima und ihrer Vorahnung umgehst. (Ich habe ja auch nur das geschriebene Wort, den Auszug als Information, weiss nicht, wie sich die Situation "in Echt" angefühlt hat). Was mich jedenfalls seit ich es gelesen habe beschäftigt ist, ob in Cosimas Reaktion "das habe ich nicht gewusst, das habe ich nicht extra gemacht" nicht ein Schuldgefühl mitschwingt. So, als ob das Geschenk und der Tod der Lehrerin irgendwie schuldhaft verbunden wären?.. Liebe Iren, ich bin mir sicher, dass du das so nicht gemeint hast und vielleicht ist es ausschliesslich meine Projektion- ich hoffe nur, dass es ok ist sie aufzuschreiben, damit du die Möglichkeit hast, es zu überprüfen und gegebenenfalls Cosima damit zu ent.lasten. Wenns nicht passt, lass es bitte ganz bei mir.
    Ganz herzlich, Soy

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  3. Liebe Soy, vielen Dank für Deine Gedanken! Ich habe mir das auch überlegt, als ich meine Worte hier aufschrieb und sie nochmals durch las. Ja, man kann das auch so heraus lesen, du hast recht.
    Ich hatte aber keine Sekunde das Gefühl, dass bei Cosima Schuldgefühle da sind. Die Lehrerin ist zwar "unerwartet" gestorben, doch war sie schon viele Jahre anorexisch und sie hat sich in diesem Sinne selbst zu Tode gehungert. Cosima weiss das, über ihre Anorexie haben wir auch schon mehrmals gesprochen. Der Religionsunterricht war in Form eines Mittagstisches und Cosima erzählte immer wieder, wie wenig ihre Lehrerin isst. Ihre Krankheit hat Cosima beschäftigt und sie versteht damit auch die Todesursache. Sie weiss, dass sie damit nichts zu tun hat. Aber es stimmt, man muss aufpassen, Kinder nehmen gerne Schuldgefühle auf sich... Cosima ahnt aber auch viele schöne Dinge voraus und spricht Gedanken von mir aus, die nicht schwerwiegend sind ;-)) Somit denke ich nicht, dass diese Erfahrung Cosima's Seele überschattet hat.
    Trotzdem danke ich Dir, dass du es angesprochen hast! Ich danke Dir auch, für dein stilles Lesen,
    beste Grüsse,
    iren

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  4. Liebe Iren, ach, da bin ich erleichtert das zu hören. Danke, dass du meine Gedanken angehört hast und sozusagen geprüft hast, ob etwas dran sein könnte.

    Und wie wunderbar für mich zu lesen, dass du (auch) Cosima darin bestärkst,ihre Begabung zu schätzen, auch wenn diese nicht "im Zeitgeist-Trend" liegen. Oder vielleicht ja gerade doch?- Es beruhigt mich zu lesen, dass es auch in der nächsten Generation Menschen geben wird, die lernen, genau hinzuhören und zu spüren.
    Danke dafür!
    Beste Grüße Soy

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  5. Was für eine berührende Geschichte von Deinem Mädchen! Ich finde es wunderbar, dass Du sie in ihren Gefühlen unterstützt, und wie Du es machst. Dieses Ernst nehmen gibt innere Stärke und Größe. Du hast sie, und in Deinen Kindern wächst sie.
    Alles Liebe, Martina :-)

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    1. Liebe Martina, wie viel innere Stärke ich tatsächlich habe, oder mir eben wünsche, dass ist bin ich mir nicht so sicher ;-)
      Herzlichen Dank aber für deine lieben Worte! Iren

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  6. Ich hoffe, dass Cosima ihre Fähigkeiten in ihrem Leben stets als Bereicherung sieht/ empfindet, und einen Weg findet leichten Herzens damit umzugehen.
    Das Vorahnungen sie nicht beeinflußen in ihrem Denken und Handeln.

    Möge die Lehrerin eine gute Wiedergeburt haben in ein Leben hinein, wo sie Raum hat ihr Glück und das satte Leben zu finden.

    Oona

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    1. Raum und Glück für ein sattes Leben - das sind sehr treffende Worte! Ja, das wünsche ich ihr auch...

      Es gibt viel mehr Kinder, die solche Fähigkeiten haben als man denkt... doch leider vermurkst sich das. Wie eine Pflanze, die kein Wasser und keine Sonne kriegt. Ich bin überzeugt, dass dies viel eher negative Folgen hat als wenn man natürlich und bewusst mit seinen Fähigkeiten aufwachsen kann.

      Sei lieb gegrüsst
      iren

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  7. Was für eine berührende Geschichte - und wahnsinnig toll, wie du Cosima unterstützt. Immerhin kann man aus solchen "Vorahnungen" auch viel positives für das eigene Leben ziehen. (Und wenn es nur das bisschen drängeln ist, doch schon mal zum Bahnhof zu fahren - obwohl noch eine viertel Stunde zeit wäre - um am Bahnhof festzustellen, dass die angepeilte Bahn ausfällt - man aber noch einen ersatzbus bekommt - eine Stunde Geschenkte Zeit. Oder der Entschluss Heiligabend doch nicht um 21 Uhr den Gottesdienst zu besuchen - um so am ende einen Einbruch in das neue Haus zu entgehen... Es sind vielleicht Kleinigkeiten - aber wertvolle)

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    1. Genau so ist es - vielen Dank für das Weiterführen! Es sind oft die kleinen Begebenheiten im Alltag und es braucht nur ein bisschen Achtsamkeit, um sie gewahr zu werden...
      Sei bestens gegrüsst, iren

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  8. Ich lese schon länger still Deinen Blog und bin immer sehr berührt. Du bringst mich zum nachdenken liebe Iren....
    Ich habe auch so ein "Antennen-Mädchen", Du hättest in diesem Post auch meine Tochter beschreiben können so sehr ähnelt Cosima in dieser Geschichte meiner großen Tochter. Es salbt meine Seele Deine Worte von der Kehrseite der Medaille zu lesen...ich denke ich werde sie meiner Tochter vorlesen. Das wird ihr gut tun :-) YviKiwi

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    1. Liebe Yvonne, genau deshalb schrieb ich diesen Post, weil ich mir dachte, dass es noch viel mehr solcher Antennen-Kinder gibt, die viel öfters die "negative" Seite der Medaille vor Augen geführt bekommen. Ist ja bei uns auch nicht anders - Cosima hört oft "Du musst Dich nur ein bisschen besser konzentrieren..." Es ist aber wichtig, ein Kind in seiner Gesamtheit, soweit man sie erkennen kann, zu sehen und zu schätzen. Ich liebe Cosima genau so, wie sie ist. Und sie weiss das.

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  9. Diese Gegebenheit hat mich sehr berührt und gerade auch Dein Umgang mit dieser und Deiner Tochter. Ich bin ein solches Antennen"kind". Mir war aber zwischenzeitlich der Glaube an meine Fähigkeiten verloren gegangen, weil mir als Kind so oft gesagt worden ist, dass ich mir Sachen nur einbilde, dass das gar nicht so sei. Nur weil meine Mitmenschen sie nicht gesehen oder empfangen haben. Ich habe das Vertrauen wieder gelernt, aber es gibt noch immer einen kleinen Ruck zwischen Empfangen und Reaktion, eine kleine Verzögerung, was in manchen Situationen auch nicht schlecht ist. Ich freue mich sehr zu lesen, dass Du und auch andere, die hier kommentiert haben, so offen und bestätigend damit umgehen! Bitte lasst in dieser Achtung und Achtsamkeit nicht nach!

    Liebe Grüße von
    Frauke

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  10. Liebe Frauke, toll, dass du dir vieles wieder zurück holen konntest! Ich freue mich auch zu lesen, wie positiv mein Post aufgenommen wurde und Eure Berichte stärken mich auch...
    Liebe Grüsse
    Iren

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  11. Es ist schön, gibt es Eltern, die genau diese "Sensoren" annehmen können. Die Unterdrückung dieser Art von Intelligenz kann zu vielen Unsicherheiten, und, wie bei mir, zu langjährigen Essstörungen führen. Schön, gibt es "Antennenmädchen" wie Cosima die lernen, dass ihre Fähigkeiten gut sind und sie unterstützt, akzeptiert und gefördert werden.

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