Dienstag, 7. Juni 2011

Tigermama

Seit das Buch "Die Mutter des Erfolgs" in allen Medien besprochen wurde, fühle ich mich nicht mehr so wohl, mit meinen Kindern und den Geigen in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Ich habe das Gefühl, dass das Image der Tigermama, die ihr Kind zu Höchstleistungen drillt, mir auch gleich anhaftet. Und falls nun Martin, unser Geigenlehrer, das liest, muss er sicher laut lachen. Er hätte sicher nichts dagegen, wenn ich zwischendurch mal eine Tigermama wäre.


Aber beginnen wir von vorne: Cosima und Thalia spielen Geige. Freiwillig.

Vor drei Jahren hat sich Cosima gewünscht, dieses Instrument zu lernen, weil ihre Cousinen auch Geige spielen. Geige spielt sie gerne, üben nicht sehr. Da ist oder wäre eben die Tigermama gefragt. Aber mir fehlt oft die Kraft dazu, um diese eiserne Disziplin aufzubringen. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, um den Kindern die Freude und Motivation am Üben zu vermitteln.

Über Auffahrt haben wir vier Tage lang den Suzuki-Geigenworkshop mitgemacht. Es kamen über hundert Kinder, vorwiegend aus der Schweiz aber auch von ganz Europa und wurden von Lehrern aus der ganzen Welt unterrichtet. Es wurde gespielt, geprobt und konzertiert. Für vier Tage waren wir alle in einem Hotel hoch über dem Vierwaldstättersee und freuten uns an der Musik.

Ich möchte Euch davon erzählen, weil es ein sehr schönes Erlebnis war. Kinder jeden Alters mit ganz verschiedenen Muttersprachen waren in Gruppen zusammen in kleinen Räumen und erhielten von unterschiedlichen Lehrern in meistens fremder Sprache Musikunterricht. Kann das gut gehen? - mag man sich da anfangs fragen.












Normalerweise meide ich die Orte, wo viele Kinder mit ihren Eltern sich tummeln. (Ich halte es nie lange aus, zu zu hören, wie andere ihren Kindern abgedroschene Sätze zurufen, die man bei sich selbst schon nicht mehr hören kann.) Ich finde es sehr anspruchsvoll, viele Kinder beisammen zu haben. Aber diese Tage waren anders. 

Eine Geigenklasse besucht über den Balkon spontan eine andere und stimmt in ihre Melodie mit ein. Welch fantastische Form von Kommunikation!



Im Unterricht hatten die Kinder jedes seine Geige in der Hand und jedes bekam dadurch seine eigene Stimme. Sie lernten aufmerksam zu sein, auf einander zu hören, miteinander zu spielen und miteinander eine schöne Melodie zu erzeugen. Sie erlebten Harmonie und Respekt durch Musik.


Die Kinder spielten viel Geige, hörten einander zu, spornten sich an und bewunderten das Können von anderen. Nebenbei schlossen Freundschaften, lachten und assen zusammen, tobten im Freien herum. Ich staunte immer wieder über diesen Respekt, den sie sich entgegen brachten. Nicht nur im Unterricht, sondern auch in der Freizeit beim Spielen. Groß und klein, fremd und vertraut, Mädchen und Junge, genossen sie die Abendstunden gemeinsam draußen auf der Wiese. Keinen Streit brach irgendwo vom Zaun, kein Gezanke oder sonstige Szenen. Sondern Neugier, Toleranz und Akzeptanz. Es erstaunte mich immer wieder, dies zu beobachten. Es muss an der Musik liegen, ich habe keine andere Erklärung dafür.



Auch bei den Eltern ist mir niemand aufgefallen, der unsympathisch war, obwohl es die statistisch gesehen gegeben haben sollte. Ich entdeckte keine überehrgeizigen Fördereltern, die ihre Kinder drillen. Die Tigermama zeigte sich hier nicht. Viele nette Bekanntschaften sind entstanden, denn man hatte von Anfang an etwas gemeinsam: die Liebe zur Musik. Und die Sprache der Musik ist universell. Man schaut in das Gesicht einer Mutter aus Irland und man lächelt. Vieles ist einen vertraut. Ja, wir alle kennen die Stücke gut, die wir mit unseren Kindern schon oft gehört und geübt haben. Und wir sind stolz, wenn sie wieder ein neues Stück spielen können und freuen uns mit ihnen. Seite für Seite, Übungsheft für Übungsheft erarbeitet man mit den Kindern langsam und geduldig das beherrschen des Instruments und den Zugang zur Musik. Eine Welt tut sich da auf. Eine Welt die Grenzen überwindet und tiefe Empfindungen ermöglicht.

Das ist Friedensarbeit. Den Kindern zu zeigen, wie Musik vereint. Wie Musik einen Raum erfüllen kann und alle, jene die musizieren wie jene, die zuhören, zu einem grossen Ganzen teilhaben lässt.



Bei der Suzuki-Methode ist das erste Lied, das anfangs von allen gelernt wird "Twinkle, Twinkle Little Star". Und dieses Lied wir bei jedem Konzert zum Abschluss von allen grossen und kleinen Geiger und Geigerinnen gemeinsam gespielt. Eine Kraft geht von diesem einfachen Lied aus und jedes Mal, wenn man es wieder hört, wird es noch schöner. Man wird jedes Mal noch berührter und ich kann Euch sagen, beim Abschlusskonzert in der Kirche gab es einige feuchte Augen und bewegte Herzen. Und vor allem das Gefühl von einer grossen Dankbarkeit. Dankbar für alles Schöne im Leben, ganz voran die Musik.





4 Kommentare:

  1. oh - wie schön formuliert und bebildert. bin gleich mit eingetaucht. gerne hätte ich auch mitgelauscht.

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  2. Ich habe Deinen (Euren) Blog zufällig gefunden.
    Ich habe vor 31 Jahren begonnen Geige zu spielen. Mit der Suzuki-Methode. Damals war ich 5. Meine jüngere Schwester begann mit 2,5 Jahren. Wir haben mit dieser Methode nicht nur gelernt Geige zu spielen - sondern auch vieles, was wir fürs Leben umsetzen konnten.
    Geige ist ein sehr schönes - aber auch schweres Instrument!
    Und Eure Calista ist was ganz süsses - wie ihre grossen Schwestern!

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  3. Vielen Dank, Strickschneckle! Schön, von Dir zu lesen, wie Du die Suzuki-Methode empfunden hast. Ich finde auch, dass es viel weiter geht als einfach nur die Geige zu erlernen...
    Herzlich, iren

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  4. Wunderbar! Davon habe ich noch nie gehört... Das Bild mit den vielen Twinkle spielenden Kindern ist wahnsinnig berührend!
    Ganz liebi grüäss, anja

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