Donnerstag, 8. März 2012

Dabei bleiben

Jeden Morgen, bei Kaffee für mich und Porridge für Calista, schmiede ich Pläne für den Tag. Meistens läuft dann der Morgen so ab, dass nur die Hälfte davon umgesetzt wird.



Es gibt viele Gründe, vom Weg ab zu kommen: Ein Telefonat, zu lange am Computer, ein bisschen müde, ein Schwatz mit der Nachbarin, eine andere Idee...

Kürzlich nahm ich mir vor, beim türkischen Lädelchen Alima im Nachbarsquartier einkaufen zu gehen. Sie haben dort oft eine speziellere, mediterrane Gemüseauswahl, feines Fladenbrot und sonstige Leckereien. Ich packte Calista ins Auto und fuhr beschwingt los. Auf halbem Weg bemerkte ich, dass ich kein Geld mehr hatte und wo ich hin wollte, nehmen sie nur Bargeld. - Doof. Dann gehe ich halt dort einkaufen, wo ich mit dem Kärtchen bezahlen kann. Das war mein zweiter Blitzgedanke. Und der dritte war: "Bleiben Sie doch dabei!" Diesen Satz hat mir mein Uniprofessor gesagt, als ich vor vielen Jahren bei ihm im Büro stand und ich mich nach einem Erasmus-Programm erkundigte. Ich wollte mit dem Austauschprogramm ein Semester in Rom studieren. Aber in meinem Fach gab es nur ein Erasmusprogramm mit der Universität von Perugia. Ich war flexibel und spontan und dadurch versucht, dann halt in Perugia zu studieren. Der Professor, der mich eigentlich nicht kannte, schaute mich liebenswürdig durch seine Brillengläser an und sagte: Wenn Sie in Rom studieren wollen, dann bleiben Sie doch dabei. Organisieren Sie sich einen Austausch nach Rom. Dieser Satz sass. Ich nahm in mir zu Herzen und ermöglichte mir selbst ein Semester in Rom. Das Beste, was ich in meiner Studienzeit getan habe! Es wurde eine spannende, abenteuerliche, wunderbare, erfüllende und lernreiche Zeit. Es wurde "mein Rom".

"Dann bleiben Sie doch dabei!" Dieser Satz kommt mir seither immer wieder mal in den Sinn. Er begleitet mich sozusagen durchs Leben. Ja, man sollte bei seinen Ideen und Absichten bleiben und nicht all zu schnell davon weg kommen, aus Unsicherheit oder Bequemlichkeit. Auch wenn es nur die kleinen Entscheidungen im Alltag sind. Ich will zum türkischen Laden und lasse mich wegen eines kleinen Umstandes schon wieder davon abbringen. "Besoffene Affen" im Kopf schwatzen mir vor, dass es doch einfacher und sinnvoller sei, in einen größeren Supermarkt zu gehen, wo ich mit Karte bezahlen kann. Dort gibt es gleich noch einen Geldautomaten und sowieso, weshalb soll ich mir den Alltag noch unnötig kompliziert machen? Ich kann ja auch ein ander mal dort einkaufen gehen. - Pah! Ich kenne inzwischen meine "besoffenen Affen" und falle nicht mehr so oft darauf herein. Dabei bleiben. Danke, Herr Professor! 

Ich bleibe bei meiner Entscheidung, fahre einen kleinen Umweg um noch Geld zu holen und gehe zu Alima einkaufen. Ich stehe mit Calista vor dem Laden zwischen den Gemüseauslagen herum, überlege mir wo ich nun zugreifen soll und bin ganz inspiriert von der köstlichen Auswahl. Da kommen lachend zwei ältere, italienischsprechende Herren daher, sie grüßen Calista fröhlich mit "ciao carina!" und halten mit prüfendem Kennerblick verschiedene Gemüse in die Luft. Der eine fängt zwischen den Früchtereihen an zu trällern und ich fühle mich gleich nach Rom versetzt... singende Italiener... Er unterbricht sein Liedchen, zeigt mir eine Bohnensorte und erklären mir, wie sie die essen. Mit viel grünem Gemüse in den Tüten und frischem Fladenbrot zwischen den Zähnen fahre ich fröhlich nach Hause. Es hat sich  gelohnt bei meiner Idee zu bleiben, auch wenn es nur ein kleiner, belangloser Tagesplan war. 

In den vergangenen Ferien machte ich nochmals diese Erfahrung. Calista hatte an einem Morgen Physiotherapie und die großen Schwestern durften mit kommen. Danach plante ich mit den Kindern kurz was essen zu gehen und dann gleich nach Bern zu fahren, ins Naturhistorische Museum. Ich wollte schon seit längerem dort hin, denn ich war erst einmal als kleines Mädchen dort und habe es sehr schön in Erinnerung.

Wir aßen auswärts zu Mittag, kamen in ein interessantes Gespräch mit den Tischnachbarn und es wurde bereits früher Nachmittag, als wir endlich ins Auto stiegen. Mein erster Gedanke beim Motoranlassen war: Lohnt es sich noch, um diese Zeit nach Bern zu fahren? Du bist müde, was für eine Schnapsidee war das wieder, nun mit allen drei Kindern noch eine längere Autofahrt zu unternehmen und folglich erst spät nach Hause zurück zu kommen?

Aber der zweite Gedanke konterte: Nein, ist mir alles egal, ich bleibe dabei! Wir haben Ferien, wir haben alle Zeit der Welt.

Ich muss eigentlich nicht weiter erzählen, oder? Klar hat es sich gelohnt, noch nach Bern zu fahren! Es war ein toller Ausflug und wir haben viele wunderbare Tiere gesehen. Allen voran und gleich beim Eingang den echten Barry


Kennt ihr Barry, den ersten, berühmten Hund, der vor über 200 Jahren auf dem Schweizer Bergpass "St. Bernhard" lebte und viele verschüttete Menschen aus dem Schnee rettete? 



Dieser Hund wurde aus Dankbarkeit für seine Heldentaten ausgestopft und zu einer Legende. Die Kinder lieben diese Geschichte und meine schauen sich gerne das Bilderbuch dazu an.


Ich selbst war vor allem auf das Walfisch-Skelett gespannt, das ich als Kind so imposant in Erinnerung hatte. Im alten Museumsgebäude war es an die Decke gehängt und hat mich mächtig beeindruckt. Es war immer noch groß, auf dem Foto unten seht ihr die Rippen, doch es war nicht mehr so atemberaubend wie damals. Es hing auch viel tiefer und ich zweifle, dass meine Mädchen auch so einen prägenden Eindruck davon kriegten. Ja,ja, die persönlichen Erfahrungen den eigenen Kinder weiter zu geben funktioniert einmal mehr nicht...

Wir haben noch viele andere Tiere geschaut, hübsch inszeniert...

Es gab auch viele Jöööhh's! und Ahhhh's! und Mami, komm schnell schauen! So süüß!








Eine große Überraschung wartete aber noch auf uns. Damit hatten wir nicht gerechnet: Die Planggenstock-Kristalle. Eine einzigartige, wunderbare Bergkristall-Sammlung, die seit einem Jahr dem Museum gehört. Atemberaubend, magisch und großartig!

Das Glanzstück der Ausstellung, über 300kg schwerer, riesiger Rosenquarz (wenn ich mich recht erinnere).


Diese Kristalle lassen mich wieder richtig Staunen und Erschaudern. So viel Schönheit, so viel Klarheit, so viele Farben, so viel Reichtum! Und dies alles in der dunklen Erde entstanden...





Im Kinoraum daneben sieht man einen eindrücklichen Dokumentarfilm über die beiden Strahler Franz von Arx und Paul von Känel, die über ein Jahrzehnt nach solchen Kristallen suchten und in ihrer Bergkluft voller Gottvertrauen arbeiteten. Zwei sehr bescheidene, liebenswerte Menschen, die es wirklich verdient haben, für ihre Arbeit belohnt zu werden und einen solchen Jahrhundert-Fund zu entdecken. 



Diese Planggenstock-Kristalle alleine sind es wert, nach Bern zu reisen. Das verspreche ich Euch!


Mit einem Butterbrot zum Z'vieri stiegen wir ins Auto und fuhren nicht nach Hause. 


Nein, wenn ich schon in Bern bin, dann mache ich noch einen kleinen Umweg und fahre zum Boesner. Kennt ihr den Boesner? Ein Supermarkt für Kreative. Gibt es in verschiedenen Ländern und ist ein Paradies an Malbedarf etc. 

Ich platzierte Calista und Thalia in die Kinderecke, wo Tisch, Papier und Stifte die Kinder zum Verweilen einladen, damit Mama einkaufen kann. Mit den Worten: Ruf mich, Thalia, wenn es Probleme gibt! begann ich mit Cosima meinen Durchgang durch den Laden. Alles blieb still, Thalia und Calista waren ganz ruhig. Bis eine Verkäuferin zu mir kam und entnervt mich bat, mal zu den Kindern schauen zu gehen. 

Oh nein, tut mir leid!!


Das ist typisch Calista! Man darf ihr eigentlich keinen Stift in die Hand geben, das hätte ich wissen können... Meine hilfsbereite Cosima holte rasch feuchte Tücher, doch es war Ölkreide und wir hatten keine Chance, es weg zu kriegen. Schuldbewusst ging ich zur Kasse. Wer also in Aarberg zum Boesner fährt und diesen künstlerischen Impuls noch sieht, weiß nun, wer das war.

Sie hat übrigens wie am Spiess gekräht, als ich ihr die Stifte aus der Hand nahm, und vor Wut mit dem Kopf auf den Boden geschlagen... Ich möchte Calista gerne mal einen leeren, weißen Raum zur Verfügung stellen, mit vielen Malstiften aller Art...

Während ich diese Zeilen schreibe, ist Calista in die Küche gegangen und auf den Tisch geklettert. Es ist ganz ruhig und ich weiss, dass es noch restliches Porridge auf dem Teller hat. Ich setze mir Scheuklappen auf und konzentriere mich auf die Tastatur vor mir. Alles hat seinen Preis, auch fünf ruhige Minütchen an einem stinknormalen Morgen.

Herzliche Grüße von iren, die nun aufputzen und Calista umziehen geht. xxx






16 Kommentare:

  1. Oh ich liebe liebe liebe deine Post... ich fühle mich fast ein wenig dabei. Ich setzte mich gern auch mal die Scheuklappen auf.. um dann Sontjes Sinneserfahrungen zu beseitigen... grad macht sie Experimente mit ihrer Trinkflasche, wieviel Schorle bekomm ich auf den Boden wenn ich auf den Schnabel drücke.. pantscht drin rum und ich weiß, dass ich nachher den Putzlappen schwingen muss.. aber hey. ich war eben in Bern ;)

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    1. Herzlicher Gruss an Sontje, die der Mama ein paar ruhige Momente schenkt...

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  2. Hihihi, ein köstlicher Post! Ich liebe es hier zu lesen, hatte ich das schon einmal erwähnt? Deine Einstellung, dran zu bleiben, finde ich super. Die werde ich mir zu Herzen nehmen.
    Und vielleicht packe ich meine Familie bald mal und wir fahren zusammen nach Bern...
    Ganz liebi grüäss, anja

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    1. Ja, Bern lohnt sich! Es gibt da ja noch so viel mehr zu sehen... Bärengraben, Bundeshaus...

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  3. Ja, Dranbleiben! Daran werde ich denke, wenn ich das nächste Mal ein Vorhaben unterbrechen möchte, nur weil sich irgendetwas nicht so ganz nach meinem vorherigen Plan entwickelt hat. Danke für das wunderbare Erzählen!
    Alles Liebe. maria

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  4. Liebe Iren,
    ich liebe deine Alltagsgeschichten. Sie sind so real, so echt , fast so wie bei uns zu Hause. Meine "Mittlere" hat auch immer alles vollgekritzelt. Jetzt mit 10! kritzelt sie nach wie vor immer noch meine Lieblingszeitschriften voll.
    Ich mache auch jeden Abend schriftlich einen Tagesplan für den nächsten Tag! Bei drei Kindern ist er mir sehr hilfreich!
    Es grüßt dich herzlich Karen
    Bitte was ist Porridge???

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  5. Liebe Karen, Porridge ist das englische Frühstück schlechthin. Auf Deutsch heisst das ganz normal "Haferbrei". Wir essen fast täglich Porridge, seit wir in London gelebt haben, weil es eine warme Mahlzeit auf den leeren Magen ist und das tut vor allem im Winter sehr gut.
    Wir sind aber bei der englischen Bezeichnung geblieben, es klingt besser. Bei "Haferbrei" denke ich immer an Krank-Sein.

    Ja, das Kritzeln kriege ich bei Calista wahrscheinlich nicht so schnell weg, sie ist fast "obsessiv" am Arbeiten, wenn sie einen Stift in der Hand hat. Wie gesagt, ich brauche einen extra Malraum für sie...

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    1. Danke für die Erklärung! Ich finde Porridge ist wirklich das besere Wort!Hihi!
      Lg Karen

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  6. oh ja so einen satz hab ich mir von der uni auch mitgenommen...ein bisschen anders aber ebenfalls sehr durchschlagend;)schön dein post!und ich vermute calista wollte den stuhl noch farblich an die säule angleichen, was meinst du?;))
    ganz liebe Grüße!
    JenMuna

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    1. Ja, ich denke auch dass das ein künstlerisches Konzept dahinter war... :-)

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  7. Das Käutzchen ist ja süß!
    Heute morgen wollte ich erst kneifen, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte zur Schneiderin zu fahren, um mir endlich eine perfekt passende Hose schneidern zu lassen. Hin und her. Da kam mir Dein Post in den Sinn. Dran bleiben!!!
    Ja! Ich bleib dran.

    Falls ich mal in Bern bin und in ein Museeum gehe mit wundervoll bemalten Stühlen, dann werde ich die Kunstwerke fotografieren :O)

    Danke für diesen "Dran bleiben"-Post.

    Herzlichst
    Oona

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    1. Super, ich hoffe, Du hast nun bald eine schöne, gut sitzende Hose!

      Ich liebe Käutzchen übrigens auch sehr. Auch Uhu's faszinieren mich.

      LG, iren

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  8. Danke für diesen Post! Der ist mal wieder, oder wie immer wunderbar zu lesen und mit schönen Fotos gestaltet.
    Ich musste so lachen, als ich Calistas Kunstwerk gesehen habe, das hat mich an mich selbst in dem Alter erinnert :D
    "Dran bleiben", das versuche ich auch und meistens klappt es dann auch.


    Liebe Grüße

    Anna

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  9. Oh, bei euch gibts auch oft Porridge, ich hab auch gerade drüber geschrieben ;-) Ist aber auch zu lecker und vor allem sooooo schnell und einfach gemacht, ganz besonders wichtig, wenn man irgendwo dran bleiben und nicht den ganzen Tag in der Küche verbringen möchte, gell...
    Ich mag das mit dem Dranbleiben, so gerne ich mich auch manchmal treiben lasse. Aber das ist ja auch noch mal anders, als ständig abgelenkt zu werden.
    Und so große Kristalle habe ich wirklich noch nie gesehen, dass es solche Wunder gibt, herrlich!
    Liebe Grüße,
    Gesche

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  10. Diese Deiner Lebenserfahrungen mit dem "Drankbleiben" werde ich mir merken. Es klingt so gut und richtig. Noch nie hab ich darüber nachgedacht, und Du hast mir gezeigt, dass ich es tun sollte!
    Ach ja, nochwas: Kannst Du nicht mal ein paar Kilometer weiter fahren und bei uns ums Eck beim Boesner einkaufen gehen? Das wäre so schön, das würde ich gerne erleben wie deine kleine Künstlerin malt! (ja, ich weiss es sind ein paar Hundert Kilometer...)
    liebe Grüsse und "danke" für diesen Post
    Elisabeth

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    1. Wir haben bald einen Boesner im Raum Zürich... juhuii! Entschuldige mich, aber die Chance, noch mehr Kilometer dafür zurück zu legen sinkt ;-))

      Calista malt mit Leidenschaft, Konzentration und einer Mischung aus Verspieltheit und Ernsthaftigkeit... Ich würde so gerne ihr den vollen Freiraum geben. Grünes Licht auf der ganzen Linie, aber das geht meistens leider einfach nicht.

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